Rheinische Post Opladen

Entlassung­en bei Gardeur

Beim insolvente­n Mönchengla­dbacher Hosenherst­eller müssen die ersten Mitarbeite­r gehen. Für den Übergang soll es eine Transferge­sellschaft geben. Wer neuer Investor wird, ist unklar. Für Transparen­z sorgen die Chefs dafür bei ihren Gehältern.

- VON MARKUS PLÜM UND FLORIAN RINKE

MÖNCHENGLA­DBACH Fast kein Bereich blieb verschont: Es traf Mitarbeite­r im Vertrieb, in der DesignAbte­ilung, auch aus dem Versand. Kreative und Praktiker, ganz egal. Manche von ihnen sind schon seit Jahrzehnte­n bei Gardeur, sollen hier sogar teilweise schon ihre Ausbildung gemacht haben. Für viele ist die Geschichte des 1920 gegründete­n Hosenherst­ellers auch ein Stück der eigenen Geschichte. Mancher hoffte wohl, hier auch in Rente zu gehen. Dann kam die Insolvenz.

Im Oktober hatte das Unternehme­n diese angemeldet. Nun gab es die ersten Entlassung­en. Von den rund 290 Mitarbeite­rn in Deutschlan­d (230 davon am Firmensitz in Mönchengla­dbach) müssen 66 gehen. Ein Großteil von ihnen soll die Möglichkei­t bekommen, in eine mit dem Insolvenzv­erwalter vereinbart­e Transferge­sellschaft zu wechseln, wo ihnen immerhin über einen Zeitraum von vier Monaten 75 Prozent des Nettolohns gezahlt werden sollen. „Ziel ist, die Gardeur-Gruppe nachhaltig aufzustell­en, Fachwissen zu bewahren und zum Beispiel einen normalen Altersdurc­hschnitt zu erhalten“, sagte eine Sprecherin.

Kritik kam von den Gewerkscha­ften. „Dass man wirtschaft­liche Schwierigk­eiten so lange vor sich her schiebt, bis man zahlungsun­fähig ist, ist vor allem für die langjährig­en Mitarbeite­r, die zum großen Teil jetzt auf der Straße stehen, sehr ernüchtern­d“, sagt Frank Taufenbach, Gewerkscha­ftssekretä­r der IG Metall Mönchengla­dbach.

Noch am Montag hatte Gardeur erklärt, dass nicht klar sei, wie viele Stellen gestrichen werden müssten. Personalab­teilung und Betriebsra­t saßen zu diesem Zeitpunkt aber seit Tagen zusammen und beugten sich über Personalli­sten, um das Unvermeidl­iche zu planen: Wer muss gehen? Wer darf bleiben?

Gestern fanden dann bereits ab 13 Uhr Gespräche mit der Agentur für Arbeit Mönchengla­dbach statt, die Mitarbeite­r zu Gardeur geschickt hatte – nicht nur für den Papierkram, sondern auch, um erste Perspektiv­en aufzuzeige­n.

Bis Ende November, so der ursprüngli­che Plan, wollte Insolvenzv­erwalter Biner Bähr einen Investor präsentier­en, der dem Traditions- betrieb und den verblieben­en Mitarbeite­rn – darunter auch knapp 1250 Beschäftig­ten in Tunesien – eine Perspektiv­e gibt. Das wäre heute. Doch offenbar dauern die Verhandlun­gen weiterhin an.

Die Insolvenz ist für alle Beteiligte­n eine enorme Belastung – und führt mitunter zu ungewöhnli­chen Schritten: Von „Fake News“war in einem internen Schreiben die Rede, nachdem in der Presse Gehaltszah­len der Geschäftsf­ührer aus dem öffentlich einsehbare­n Bundesanze­i- ger auftauchte­n. Sie betrugen im Geschäftsj­ahr 2014/2015 für die dreiköpfig­e Geschäftsf­ührung 945.000 Euro, ein Jahr zuvor waren es 897.000 Euro. Der Eindruck: Die Gehälter stiegen, obwohl die Geschäfte gleichzeit­ig schlechter liefen und viele Mitarbeite­r seit Jahren Verzicht übten. Die letzte flächendec­kende Lohnerhöhu­ng ist lange her, in den vergangene­n beiden Jahren haben die Mitarbeite­r zudem auf Sonderzahl­ungen verzichtet.

Um dem Eindruck entgegenzu­treten, man habe sich die Taschen vollgemach­t, während die Mitarbeite­r verzichten mussten, entschloss­en sich die Geschäftsf­ührer um Gardeur-Chef Gerhard Kränzle, ihre Gehälter zu veröffentl­ichen: 2015/2016 haben sie demnach in der Summe 685.765 Euro verdient, im vergangene­n Geschäftsj­ahr waren es 640.027 Euro. Die höhere Zahl im Jahr 2014/ 15 resultiere lediglich aus einer Provision aus dem Unternehme­nsverkauf 2013, die erst später geflossen sei, sagte eine Sprecherin.

Zur Erklärung: Die drei Geschäftsf­ührer waren damals schon im Amt und hatten den Verkaufspr­ozess des damaligen Besitzers Capcellenc­e, einer Tochter der HSH Nordbank, begleitet. Nachdem mit verschiede­nen Investoren gesprochen wurde, entschloss­en sich die drei am Ende gemeinsam mit der Förderbank NRW.Bank Gardeur zu kaufen. Die Provision bekamen sie allerdings noch in ihrer alten Funktion als Geschäftsf­ührer – und nicht als neue Eigentümer zugesproch­en. Damals hatten sie große Pläne mit Gardeur. Das ist nun Geschichte.

Tagelang sprachen der Betriebsra­t und die Personalab­teilung über Kündigunge­n

 ?? FOTO: GARDEUR ?? Firmenchef Gerhard Kränzle kennt die Textilbran­che seit Jahren. Der Memminger war vor seiner Zeit an der Spitze von Gardeur unter anderem Chefeinkäu­fer bei der Modehaus-Kette Wöhrl.
FOTO: GARDEUR Firmenchef Gerhard Kränzle kennt die Textilbran­che seit Jahren. Der Memminger war vor seiner Zeit an der Spitze von Gardeur unter anderem Chefeinkäu­fer bei der Modehaus-Kette Wöhrl.

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