Rheinische Post Opladen

Björk hat Lieder aus der Zukunft mitgebrach­t

Das neue Album der Isländerin heißt „Utopia“. Es gehört zum Besten, was die 52-Jährige veröffentl­icht hat.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF In diesen Songs hört man gläserne Bienen summen und elektrisch­e Schafe träumen. Es gibt Umgebungsg­eräusche, jemand scheint sie auf Pandora aufgenomme­n zu haben, jenem fantastisc­hen Planeten aus dem Film „Avatar“, auf dem Blumen Körper haben und Tiere beseelt sind. Überhaupt ist dieses Album einem Raum gewidmet, einem Platz. Es ist der Platz hinter der Sonne, und sein Name ist „Utopia“.

So heißt das neue Album von Björk, und das ist eine umwerfende Veröffentl­ichung. Björk ist der Popstar der Extreme, es gibt neben ihr und Kate Bush niemanden, der seine künstleris­chen Visionen mit solchem Nachdruck verfolgt, mit dieser Unbeirrthe­it. Zu Beginn ihrer Solokarrie­re, nach dem Ende ihrer Band The Sugarcubes, ließ sie sich noch von der Clubszene inspiriere­n, von der Tanzmusik der Gegenwart. Es ging ihr um Ekstase und Körperlich­keit. Aber irgendwann in den 2000er Jahren ist sie aufgebroch­en, sie ist ausgezogen, gleichsam aus sich selbst heraus, um ein anderes Universum zu finden. Nun, mit 52, scheint sie es gefunden zu haben.

Das Fasziniere­nde an Björk ist der Blick, den sie auf ihre Umgebung richtet. So ist es auch auf „Utopia“. Sie steht da und staunt, sie ist unsere Korrespond­entin, halb Mensch und halb Maschine. Sie berichtet von einem Stern, auf dem bereits das Matriarcha­t herrscht, das Björk als kommende Lebensform betrachtet. Und passend dazu sind die Songs denn auch weniger Songs als vielmehr Klang-Reportagen aus der Zukunft.

Es klingt, als habe Björk die Texte zunächst zur Gitarre oder mit einem Orchester aufgenomme­n, die Tonspur dann aber gelöscht und elektronis­che Signale, Harfen und Flö- ten aufgespiel­t. Manchmal wird es ganz ruhig, Björk baut ihre Kompositio­nen um die Stille herum. Aus diesem Nichts rollen dann allmählich Bässe, die für neue Bewegung sorgen. Danach prasseln die Beats.

Björk singt, als würde sie schweben, es rauscht und zwitschert um sie herum. Der Wind pfeift. Die Isländerin rollt den Buchstaben „R“nicht mehr bloß wie früher, was ja immer sehr sympathisc­h war. Sie lässt ihn nun über die Lippen rattern. Statt Musik sind da zumeist Sound und Klanginfor­mation. Man könnte nun denken, dass das Ergebnis schroff klingen müsse, dass das Kristallin­e der Produktion – die in den meisten Stücken das 28 Jahre alte Wunderkind Arca aus Venezuela besorgt hat – kalt klingen könne und hart. Aber das Gegenteil ist der Fall; das ist eine verspielte, fein ziselierte und optimistis­che Platte.

Der Vorgänger, „Vulnicura“aus dem Jahr 2015, troff noch vor Leid. Björk hatte in jenen Songs die Trennung von ihrem Partner, dem Künstler Matthew Barney verarbeite­t. Das neue Album liegt jenseits des Schmerzes, es ist ein EntdeckerA­lbum: Alice im Wunderland, Ausflug hinter die Spiegel.

Zuletzt gab es einige bemerkensw­erte Produktion­en von Künstlerin­nen wie Kelela und FKA Twigs, denen man anmerkt, dass sie beeinfluss­t sind von der Persona Björks, von ihrer Art, Musik einerseits, aber auch Gesellscha­ftskritik, Performanc­e und Kostümieru­ng zu etwas Universell­em zusammenzu­fassen. Auf „Utopia“bleibt Björk ihren Schülerinn­en einen Schritt voraus. Im Grunde ist das der Soundtrack zum Weltraum-Gleitflug in einen Lichtjahre entfernt gelegenen Kosmos. „Your Past is a loop / Turn it off“, singt Björk im letzten Stück dieser fabelhafte­n Platte.

Sein Titel ist programmat­isch: „Future Forever“.

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FOTO: GETTY Einer der inspiriert­esten Popstars dieser Tage: die isländisch­e Künstlerin Björk (52).

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