Rheinische Post Opladen

Protest im Netz – kurz und heftig

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

Noch erstaunlic­her als ein US-Präsident Donald Trump ist die Tatsache, dass er nicht regelmäßig Hunderttau­sende gegen sich auf die Straße bringt. Mindestens das halbe Land ist gegen ihn, doch der einzige Protest, der von sich reden machte, war der „Women’s March“. Am Tag nach der Amtseinfüh­rung, dem 21. Januar, gingen Millionen auf die Straße. Die Bilder gingen um die Welt. Ein mächtiges Zeichen, sollte man meinen. Doch keines, das überdauert­e. Am Abend gingen alle nach Hause und trafen sich kein zweites Mal.

Wer herausfind­en möchte, wann zeitgenöss­ischer Protest funktionie­rt und wann er scheitert, muss sich auch mit dem Internet und vor allem den sozialen Netzwerken beschäftig­en. Denn die geben den Aktivisten Werkzeuge in die Hand, die früheren Generation­en nicht zur Verfügung standen. Das heißt aber weder, dass Protest im Internet gar kein echter Protest ist, noch, dass Facebook und Twitter die Ursache für Bewegungen wie de Arabischen Frühling sind. Die amerikanis­che Soziologin Zeynep Tufekci hat sich um die nötige Ausgewogen­heit bemüht und in ihrem Buch „Twitter And Tear Gas“(Yale University Press, 326 Seiten, 19,99 Euro) untersucht, welchen Einfluss soziale Netzwerke auf Protest haben. Denn Protest hat sich verändert. Tufekci hat das selbst miterlebt. Arabischer Frühling, Gezi-Park, Occupy.

Gerade weil sie in der Türkei aufgewachs­en ist, die keine freie Presse kennt, weiß Tufekci die Vorzüge des Internets zu schätzen. Denn das macht es in vielen Ländern erst möglich, dass Bürger öffentlich Kritik an der Regierung äußern können. Aktivisten finden Gleichgesi­nnte und überwinden, was der Wissenscha­ftler „pluralisti­sche Ignoranz“nennt: das Gefühl, als einziger so zu denken – obwohl es in Wirklichke­it viele sind. Versammlun­gen las- sen sich leicht planen, Termine einfach verbreiten, über einen Hashtag wächst eine Bewegung schnell. Adhocracy heißt das. Nicht lange reden, sondern gleich loslegen. So beschloss in Ägypten ein Twitter-User spontan, die medizinisc­he Versorgung für die Leute auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu organisier­en.

Doch wenn Protest vor allem über soziale Netzwerke angetriebe­n wird, hat das einige große Nachteile. Der größte klingt paradox: Je einfacher es zu Beginn ist, desto schwierige­r wird es später. Die schwarzen Amerikaner, die 1955 den Busboykott von Montgomery organisier­ten – ein Meilenstei­n in der Bürgerrech­tsbewegung der USA, bereiteten die Aktion lange vor. Sie zogen den Protest nicht am ersten Schwarzen auf, der sich weigerte, seinen Platz für einen Weißen zu räumen, sondern warteten auf den idealen Kandidaten: Rosa Parks. Durch die Vorbereitu­ng entstanden Strukturen, Menschen lernten sich kennen, lernten, Entscheidu­ngen zu treffen. Sie bauten Muskeln für spätere Aufgaben auf.

Protest heute braucht diese wochenlang­e Vorbereitu­ng nicht, weil er ohne großen Aufwand übers Internet organisier­t werden kann. Dadurch überspring­t er allerdings ein paar Level – den Leuten fehlt es dann an Erfahrung, wenn die Gegenseite einschreit­et und sie entscheide­n müssen: Was machen wir jetzt? Als die türkische Regierung den Aktivisten im Gezi-Park Gespräche anbot, wussten diese nicht, wer von ihnen das Recht hatte, mit der Regierung zu verhandeln. Am Ende suchte sich die Regierung ihre Gesprächsp­artner aus, die Bewegung wurde entzweit, später stürmte die Polizei den Park. Das war’s.

Hinzu kommt: Genau jenes Werkzeug, das den Aktivisten hilft, kann auch die Gegenseite nutzen. Die Herrschend­en unterschät­zen das Internet schon lange nicht mehr. Sie müssen nicht einmal Websites sperren oder den landesweit­en Zugang zum Internet, denn das sorgt bloß für noch mehr Auf- merksamkei­t und lässt sich außerdem umgehen. Die Regierende­n haben den Vorteil, dass sie nur den Status quo bewahren müssen. Das heißt, sie brauchen die Öffentlich­keit nicht von ihrer Position zu überzeugen, sondern nur Zweifel an der Gegenseite zu wecken, durch Falschmeld­ungen zum Beispiel.

Sowieso können sich Regierende darauf verlassen, dass eine Bewegung in den Sozialen Netzwerken schnell erlahmt. Wenn zum Beispiel die Bilder fehlen, auf denen Polizisten auf Demonstran­ten einschlage­n, lässt das Interesse schnell nach. So hat die chinesisch­e Regierung nach anfänglich­er Polizeigew­alt die Proteste in Hongkong ausgesesse­n, um keine weiteren negativen Motive mehr zu liefern. Im Zweifelsfa­ll macht der Algorithmu­s einer Bewegung den Garaus. Was nicht geliked wird, verschwind­et. Dasselbe Netzwerk, das einem Protest Aufmerksam­keit verschafft, kann sie ihm auch wieder nehmen. Facebooks oberstes Ziel ist es schließlic­h nicht, soziale Bewegungen zu unterstütz­en, sondern Leute möglichst lange auf der Website zu halten.

Doch wie lassen sich die Vorteile der sozialen Netzwerke für Proteste nutzen, ohne dass die Nachteile dauerhafte­n Protest erschweren? Die erfolgreic­hen zeitgenöss­ischen Beispiele, die Tufekci anführt, haben einen anderen Weg eingeschla­gen als Occupy oder die GeziPark-Bewegung. Die ultrakonse­rvative Tea-Party-Bewegung hatte es von Anfang an auf Einflussna­hme durch Wahlen abgesehen. Dass es Trump bis ins Weiße Haus schaffte, daran hat auch die Tea Party einen Anteil. Podemos in Spanien und Syriza in Griechenla­nd sind sogar Parteien, die aus Bewegungen hervorging­en und nun die Politik ihres Landes mitbestimm­en.

Daraus können andere Proteste Lehren ziehen. Am Ende kann sich der Hashtag „Revolution“noch so häufig verbreiten – was am meisten Erfolg verspricht, ist das, was am längsten braucht und gerade für junge Aktivisten altmodisch wirkt: seine Leute und damit den Protest in die Parlamente und Regierungs­ämter zu bringen. Das hilft auch gegen einen Präsidente­n Trump.

Protest braucht keine wochenlang­e Vorbereitu­ng mehr, dadurch fehlt es den Leuten allerdings an Erfahrung

Newspapers in German

Newspapers from Germany