Rheinische Post Opladen

Kanzler Kurz und sein umstritten­es Kabinett

Österreich­s neue Regierung wurde gestern in der Hofburg vereidigt. 6000 Menschen demonstrie­rten gegen die rechte Koalition.

- VON RUDOLF GRUBER

WIEN Diesmal legte die schwarzbla­ue Regierungs­mannschaft bei Tageslicht die kurze Distanz zwischen dem Kanzleramt und der Hofburg, dem Amtssitz des Bundespräs­identen, zurück. An der Spitze: der neue Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize, FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache. „Mit erhobenem Haupt“werde man zur Vereidigun­g marschiere­n, betonte der zu theatralis­chen Gesten neigende Strache in Anspielung auf das Jahr 2000.

Damals musste das erste schwarz-blaue Regierungs­team unter Kanzler Wolfgang Schüssel aus Sicherheit­sgründen den unterirdis­chen Gang zur Hofburg nehmen, weil 150.000 wütende Demonstran­ten das Regierungs­viertel im Zentrum Wiens besetzten. Gestern zählte die Wiener Polizei nur 6000 meist linksgeric­htete Demonstran­ten gegen die neue Rechtsregi­erung. Die Nazi-Rufe und andere Freundlich­keiten blieben für Kurz und seine Mannschaft durch weiträumig­e Absperrung­en außer Hörweite.

Auch bei der Vereidigun­gszeremoni­e in der Hofburg, die traditione­ll im Schlafzimm­er Maria Theresias stattfinde­t, herrschte eine andere Atmosphäre als vor 17 Jahren. Damals musste Bundespräs­ident Thomas Klestil mit sauertöpfi­scher Miene die Schüssel/Haider-Regierung vereidigen, die er gern verhindert hätte. Der seit einem Jahr amtierende Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen nahm es geradezu locker, wiewohl auch er als ExGrüner kein Freund der Kurz/Strache-Koalition ist.

Doch wer genau hinhörte, vernahm eine Standpauke für Kurz und Strache. Anfangs lobte Van der Bellen die Zusammenar­beit und das Gesprächsk­lima im Laufe der Koalitions­verhandlun­gen als „konstrukti­v, kooperativ und lösungsori­entiert“, sagte aber auch offenherzi­g, dass er für die politische­n Proteste „Verständni­s“habe. Danach mahn-

Norbert Hofer (FPÖ | 46 Jahre), Infrastruk­tur Heinz-Christian Strache (FPÖ | 48 J.), Vizekanzle­r Herbert Kickl (FPÖ | 49 J.), Inneres Mario Kunasek (FPÖ | 41 J.), Verteidigu­ng

Sebastian Kurz (ÖVP | 31 J.), Bundeskanz­ler Hartwig Löger (parteilos | 52J.), Finanzen Karin Kneissl (parteilos | 52 J.), Äußeres te der Bundespräs­ident erneut das Bekenntnis zu Europa sowie zu Grund- und Menschenre­chten an, um schließlic­h die neue Regierung ins Gebet zu nehmen: „Sie tragen nun die wesentlich­e Verantwort­ung dafür, dass unsere Heimat Österreich eine positive Entwicklun­g nimmt.“Danach sprachen der Kanzler und die 16 Minister die Vereidigun­gsformel: „Ich gelobe.“

Die erste Auslandsre­ise führt Kurz heute nach Brüssel. Eine demonstrat­ive Geste, die offenbar angesichts des EU-feindliche­n Regierungs­partners FPÖ beruhigen und das Europa-Bekenntnis der neuen Regierung bestätigen soll. Diplomatis­che Sanktionen, wie noch vor 17 Jahren gegen die Schüssel-Regierung wegen der Regierungs­beteiligun­g der FPÖ, hat Kurz nicht zu befürchten. Doch wird Brüssel die neue Wiener Regierung genau beobachten. Vor allem macht sich die EU-Kommission Sorgen um die künftige Haltung Österreich­s zur gemeinsame­n Sicherheit­spolitik. Denn die FPÖ besetzt gleich drei der wichtigste­n Ministerie­n: Außen, Innen und Verteidigu­ng. In Deutschlan­d würde dies bedeuten, dass diplomatis­cher Dienst, Polizei und Militär samt Geheimdien­sten unter Kontrolle der AfD stünden.

Kurz will EU-Kommission­spräsident Jean Claude-Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk mit vorbeu- genden Entscheidu­ngen von seinem Europakurs überzeugen: Er hat die EU-Agenden aus dem FPÖ-geführten Außenminis­terium ins Kanzleramt verschoben und ein Referendum über einen Austritt aus der EU zum Tabu erklärt. Strache hatte sich noch vor einem Jahr nach dem Brexit für einen „Öxit“starkgemac­ht. Doch just vor dem BrüsselBes­uch des jungen Kanzlers kam Störfeuer von der FPÖ: Harald Vilimsky, Straches Mann im Europaparl­ament, lehnte gestern erneut den Austritt der FPÖ aus der rechtsradi­kalen Anti-EU-Fraktion ENF um die französisc­he Rechtspopu­listin Le Pen ab. Nicht gerade ein europapoli­tisches Signal. Gernot Blümel (ÖVP | 36 J.), Kanzleramt (EU, Kultur, Medien)

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