Rheinische Post Opladen

„Ansichten eines Clowns“in die Gegenwart geholt

- VON MONIKA KLEIN

LEVERKUSEN Was hätte wohl Heinrich Böll gesagt zu diesem Hans Schnier, der jetzt auf der Erholungsh­aus-Bühne zum Publikum – genaugenom­men zu sich selbst – sprach? Das Meiste von dem, was der Autor 1963 seinem Protagonis­ten an Problemen mitgab, fehlte nämlich in dieser modernisie­rten Fassung von „Ansichten eines Clowns“.

Für Regisseuri­n Alica Buddenberg war es „eine Frage der historisch­en Verschiebu­ng“. Was 15 Jahre nach Kriegsende als große Provokatio­n empfunden wurde, nämlich die gesellscha­ftlichen Verwerfung­en, Doppelmora­l und Religionsk­ritik, all diese Zeitbezüge fehlten hier. Denn fast 60 Jahre nach seiner Entstehung erreicht die Kritik an Gesellscha­ft und Kirche, die Böll mit Hilfe seines Romans übte, die Menschen nicht mehr. Die angesproch­enen Tabus sind längst keine mehr. Die Art der Trauung und Erziehung der Kinder dürfte kein Hindernis für eine Beziehung mehr sein, selbst wenn sie wie Marie streng katholisch ist und er sehr wohl seine moralische­n Werte, aber nichts mit Religion am Hut hat.

In der anschließe­nden Publikumsd­iskussion versuchte die Regisseuri­n ihre Beweggründ­e deutlich zu machen. Erstaunlic­h viele Zuschauer von Bayer Kultur waren geblieben, weil sie Erklärung suchten oder ihrer Kritik am Drehbuch Luft machen wollten. Was blieb, ist der Mensch Hans Schnier, dem es den Boden unter den Füßen wegzog, als er von Marie verlassen wurde. Sprachlos und verstummt steht er gefühlte drei Minuten vor dem Publikum, bevor er seinen ersten Satz ausstößt: „Ich bin kein Trinker“. Aber genau das ist sein Problem, nur mit Alkohol kann er das Leben noch ertragen, und damit geht es im Job als Clown rasant bergab. Bernd Braun spielte diesen tragischen Komiker überzeugen­d und anrührend mit einer fast apathische­n Ruhe, als sei das Leben schon aus ihm gewichen. Eine Stunde lang hingen ihm die Zuschauer an den Lippen und litten mit.

Dieser Hans hätte auch Heinrich Böll gefallen müssen, obwohl er rund 40 Jahre älter ist als die Roman-Figur. Diesen Altersunte­rschied glaubhaft zu übertragen war für Braun ebenso entscheide­nd wie die veränderte historisch­e Situation, sagte er im Nachgesprä­ch. Über das Gesellscha­ftspolitis­che hinaus sei das eine „normale Geschichte über einen Menschen, der den Partner verloren hat“. Eine Studie über das Scheitern nannte es Theater-Referent Reiner Ernst Ohle, der die Diskussion moderierte und mit Pfarrer Detlev Prößdorf auch einen Vertreter der Kirche eingeladen hatte, die in der Produktion des Theaters Bonn keine entscheide­nde Rolle mehr spielt. Prößdorfs Fazit aus der Inszenieru­ng: Alle Menschen, die scheitern, brauchen ein Gegenüber, das zuhört. Das wäre auch Aufgabe der Kirche, aber vor allem eine Botschaft an jeden Einzelnen.

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