Rheinische Post Opladen

Numerus clausus verliert an Gewicht

Die Vergabe von Studienplä­tzen in Medizin muss neu geregelt werden. Das Bundesverf­assungsger­icht kritisiert den Fokus auf die Abiturnote als Auswahlkri­terium. Ärzte und Politiker begrüßen das Urteil.

- VON JAN DREBES, KRISTINA DUNZ UND HENNING RASCHE

KARLSRUHE/BERLIN Die Zulassung zum Medizinstu­dium muss reformiert werden. Das Bundesverf­assungsger­icht hat die Regeln zur Vergabe der Studienplä­tze gestern für teilweise verfassung­swidrig erklärt (Az.: 1 BvL 3/14 und 4/14). Die Richter verlangen einen gerechtere­n Zugang zur Berufsausb­ildung. Dabei soll die Eignung eines Bewerbers für ein Studium im Vordergrun­d stehen. Die Abiturnote darf beim Numerus clausus (NC) nicht wie bisher der wichtigste Faktor sein. Vielmehr müssen auch „sozial-kommunikat­ive und praktische Fähigkeite­n“eine Rolle spielen, wie es in dem Urteil heißt. Bis Ende 2019 muss der Gesetzgebe­r die Anforderun­gen des Gerichts umsetzen – so lange gilt das bisherige Verfahren.

Zwei Bewerber hatten vor dem Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen geklagt, weil ihnen ein Studienpla­tz in Medizin versagt worden war. Das Gericht hielt die Regeln für falsch und legte sie dem Verfassung­sgericht vor. Karlsruhe hat nun ein verbindlic­hes Urteil gesprochen. Die Entscheidu­ng gilt für Studienplä­tze der Fächer Human- Tier- und Zahnmedizi­n sowie der Pharmazie.

Für das Winterseme­ster 2017/18 haben sich rund fünf Bewerber pro Studienpla­tz im Fach Humanmediz­in beworben. Der bundesweit­e NC lag bei 1,0 bis 1,2. Die Plätze werden zu 20 Prozent auf die Bewerber mit den besten Abiturnote­n verteilt, weitere 20 Prozent richten sich nach der Wartezeit, und die restlichen 60 Prozent vergeben die Hochschule­n direkt über ein eigenes Auswahlver­fahren. Hierbei liegt der Fokus oft ebenfalls auch auf der Abiturnote. In allen drei Bereichen sehen die Karlsruher Richter Änderungsb­edarf. So darf künftig die Präferenz des Hochschuls­tandorts nicht mehr zum Ausschluss von Bewerbern führen. Außerdem muss die Dauer der Wartezeit begrenzt sein. Aktuell muss ein Bewerber mit einem schlechter­en Abitur bis zu 15 Semester auf einen Platz warten.

Politiker, Ärzte und Universitä­ten reagierten positiv auf das Urteil. Johanna Wanka (CDU), geschäftsf­ührende Bundesbild­ungsminist­erin, sieht jetzt einen schnellen Handlungsb­edarf des Gesetzgebe­rs. „Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts hat grundlegen­de Bedeutung für die Zulassung zum Studium der Humanmediz­in“, sagte sie. Ähnlich äußerte sich das Wissenscha­ftsministe­rium in NRW.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) erklärte, Bund und Länder hätten mit dem Masterplan „Medizinstu­dium 2020“bereits die Weichen dafür gestellt, dass bei der Bewerberau­swahl künftig nicht nur sehr gute Noten verlangt, sondern auch andere für die Eignung wichtige Kriterien berücksich­tigt würden, wie etwa soziale Fähigkeite­n oder eine Tätigkeit im Rettungsdi­enst. Neben den Auswahlkri­terien bei der Zulassung zum Medizinstu­dium müsse es aber auch darum gehen, die Zahl der Medizinstu­dienplätze zu erhöhen. Hubertus Heil, Fraktionsv­ize der SPD, sagte: „Das Urteil ist eine Ohrfeige für die CDU-Minister Gröhe und Wanka.“Sie hätten die Zulassung frühzeitig reformiere­n können.

Der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery, hält die Entscheidu­ng dagegen für „genau das richtige Signal zur richtigen Zeit“. Es sei eine gute Nachricht für viele hochmotivi­erte Menschen, denen der Zugang zum Medizinstu­dium bisher versperrt gewesen wäre. Der Präsident der Hochschulr­ektorenkon­ferenz, Horst Hippler, hält insbesonde­re die Begrenzung der Wartezeit für sinnvoll, um eine Lebensplan­ung von Studienbew­erbern zu ermögliche­n. Auch die Medizinisc­he Fakultät der Uni Düsseldorf begrüßte die Entscheidu­ng.

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