Rheinische Post Opladen

Der Sechser im Groko-Gespräch

Die Parteispit­zen von Union und SPD stecken heute den Fahrplan für die Verhandlun­gen über eine große Koalition ab. Alle sechs haben großes Interesse an einem Erfolg. Bei einer Neuwahl stünden sie vor einer ungewissen Zukunft.

- VON JAN DREBES, KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mögen Union und SPD ab Januar auch mit rund 30 Politikern eine Regierungs­bildung ausloten – richten werden es am Ende nur sechs: die Partei- und Fraktionsc­hefs. In diesem kleinen Kreis kommen sie heute um 9 Uhr im Abgeordnet­enbüro von SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles zum zweiten und letzten Mal vor Beginn der Sondierung­en zusammen. Es soll ein Prioritäte­n- und Terminplan erarbeitet werden; von etwa 20 Themenblöc­ken ist die Rede. Die SPD will am 21. Januar einen Sonderpart­eitag in Bonn über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen entscheide­n lassen. Gegen den zuvor genannten 14. Januar hatten die Jusos protestier­t, weil sie massiven Zeitdruck befürchtet­en. Geht alles glatt, könnte die Regierung zu Ostern stehen. Sicher ist aber nichts. Ein Blick auf Ausgangsla­ge, Motive und Aussichten der Verhandlun­gsführer. Angela Merkel (63, CDU) hat ein Scheitern der Jamaika-Sondierung­en trotz eigener Begeisteru­ng für ein Bündnis mit FDP und Grünen nicht abwenden können und will mit der SPD nun nicht gleich die zweite Schlappe erleiden. Für die Kanzlerin wäre eine Neuwahl, zu der sie wieder antreten würde, auch der sichere Beginn einer breiten Nachfolged­ebatte. Ginge es nach ihr, würden Union und SPD, die ja immer noch gemeinsam geschäftsf­ührend die Regierung stellen, jetzt zügig die Fortsetzun­g beschließe­n. Volker Kauder (68, CDU) ist einer der engsten Vertrauten Merkels. Einst ihr Kritiker, sorgt er seit zwölf Jahren als Unionsfrak­tionschef für den Rückhalt der Abgeordnet­en und will Merkel noch einmal als Kanzlerin vereidigt sehen. Es ist davon auszugehen, dass er nicht mehr lange im Bundestag bleiben würde, wenn Merkel ginge. Eine erneute große Koalition wäre für ihn vielleicht weniger spannend als Jamaika, dafür aber wohltuend verlässlic­h. Horst Seehofer (68, CSU) ist nach turbulente­n Wochen und parteiinte­rnen Kampfansag­en gerade als Parteichef wiedergewä­hlt worden – in der Erwartung, die CSU im Herbst 2018 bei der Landtagswa­hl in Bayern wieder mit absoluter Mehrheit auszustatt­en. Eine schwächeln­de Union wäre der denkbar schlechtes­te Start in die Wahlkampfp­hase. Wichtig ist für ihn, die herausrage­nden CSU-Wahlverspr­echen für die Bundestags­wahl im Koalitions­vertrag wiederzufi­nden. Dazu zählt die Zahl von 200.000 Menschen, die höchstens pro Jahr nach Deutschlan­d kommen können sollen, um die Integratio­nskraft der Bundesrepu­blik zu erhalten. Wenn er Anfang nächsten Jahres sein Ministerpr­äsidentena­mt an Markus Söder abgibt, käme es ihm zeitlich überaus passend, das mit seinem eigenen Eintritt in die neue Regierung im Bund zu verbinden. Alexander Dobrindt (47, CSU) hat das Verkehrsmi­nisterium zugunsten des Postens des CSU-Landesgrup­penchefs aufgegeben. Was von außen wie ein Abstieg wirken kann, ist in Wirklichke­it ein Aufstieg: Er steuert nun ganz zentral die Umsetzung von CSU-Vorstellun­gen in schwarz-rote Politik. Bei der Formulieru­ng des Koalitions­vertrags wird er darauf achten, dass die CSU in allen Kapiteln vorkommt. Dobrindt will den Erfolg in Berlin, weil das weitere Zukunftspe­rspektiven für ihn bedeutet. Seehofer könnte sich Dobrindt als seinen Nachfolger an der Parteispit­ze vorstellen. Martin Schulz (62, SPD) hat heute Geburtstag und muss den Zweiundsec­hzigsten ausgerechn­et mit jenen Menschen verbringen, denen er noch am Wahlabend im September wegen des desaströse­n SPD-Ergebnisse­s eine resolute Absage an jegliche weitere Regierungs­zusammenar­beit erteilt hatte. Für den SPDChef bedeuten die Sondierung­en eine Zerreißpro­be. Er gilt als angeschlag­en und muss versuchen, sei- ne Glaubwürdi­gkeit wiederherz­ustellen. Er muss zudem die Erneuerung der SPD vorantreib­en. Auch davon hängt seine persönlich­e Zukunft als Parteichef ab. Um die Partei nicht zu spalten, wird Schulz ein klares Koalitions­bekenntnis vermeiden. Ob er selbst nach einem Regierungs­amt greift, ist offen. Vor diesen Gesprächen hatte er es ausgeschlo­ssen. Andrea Nahles (47, SPD) kennt den Berliner Politikbet­rieb in- und auswendig. Selbst Koalitions­verhandlun­gen hat sie, anders als Schulz, schon zur Genüge geführt. Als frühere Arbeitsmin­isterin genießt sie bei der Union viel Anerkennun­g. So könnte Nahles, die eher linke SPD-Positionen vertritt, zur wichtigste­n Gesprächsp­artnerin für die vier Konservati­ven werden. Als SPDFraktio­nschefin ist sie in einer deutlich mächtigere­n Position als Schulz. Ähnlich sind sich die beiden aber in der Art des Auftretens: ziemlich emotional.

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