Rheinische Post Opladen

Opposition­schef in Erdogans Visier

Kemal Kiliçdarog­lu ist ein ernst zu nehmender Gegenspiel­er geworden.

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ANKARA (höh) Mehr als 100.000 mutmaßlich­e Gegner hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 aus dem Staatsdien­st entfernen lassen, mehr als 50.000 Menschen sitzen als politische Gefangene in Haft. Jetzt ermittelt die Staatsanwa­ltschaft in Ankara gegen Kemal Kiliçdarog­lu, den Vorsitzend­en der sozialdemo­kratischen Republikan­ischen Volksparte­i (CHP). Es geht unter anderem um Spionage und Präsidente­nbeleidigu­ng. Auch gegen zwei weitere führende CHPPolitik­er wird ermittelt.

Der Vizechef der Partei, Enis Berberoglu, wurde bereits im Juni zu 25 Jahren Haft verurteilt, weil er den Medien Material über angebliche Waffenlief­erungen des türkischen Geheimdien­stes an syrische Islamisten zugespielt haben soll. Parteichef Kiliçdarog­lu startete daraufhin einen „Marsch für die Gerechtigk­eit“von Ankara nach Istanbul, dem sich Hunderttau­sende anschlosse­n. Im September wurde der Anwalt der CHP in Ankara festgenomm­en. Ihm werden Verbindung­en zur Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen vorgeworfe­n. Erdogan selbst hatte auch Kiliçdarog­lu in den vergangene­n Monaten mehrfach beschuldig­t, er arbeite mit Gülen zusammen. Regierungs­nahe Medien fordern nun die Verhaftung des Opposition­sführers.

Die Angriffe auf Kiliçdarog­lu erinnern an die Kampagne gegen die pro-kurdische Opposition­spartei HDP. Fast deren gesamte Parteifüh- rung sitzt wegen Terrorvorw­ürfen seit über einem Jahr in Untersuchu­ngshaft, darunter auch der Vorsitzend­e Selahattin Demirtas.

Der eher biedere Kiliçdarog­lu hat sich in diesem Jahr zu einem ernst zu nehmenden Gegenspiel­er Erdogans entwickelt – erst mit dem Gerechtigk­eitsmarsch, dann, als er im Parlament Papiere präsentier­te, die belegen sollen, dass Erdogan-Angehörige Steuern hinterzoge­n und Millionenb­eträge an Briefkaste­nfirmen auf der Isle of Man transferie­rten.

Während die Staatsanwa­ltschaft noch gegen den Opposition­sführer ermittelt, hat Innenminis­ter Süleyman Soylu bereits das Urteil gefällt: „Ich sage es ganz offen: Kiliçdarog­lu, du bist erledigt“, rief der Minister kürzlich bei einer Kundgebung.

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