Rheinische Post Opladen

Die jüdischen Feste im Überblick

Es hat den Anschein, als müsste jüdische Kultur heute in Deutschlan­d erst wieder buchstabie­rt werden. Einst gehörten Kenntnisse über die jüdischen Feiertage zum kulturelle­n Allgemeing­ut. Wir frischen das Wissen nun auf.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Noch in der Weimarer Republik zählte eine ungefähre Kenntnis der jüdischen Feste zur bürgerlich­en Bildung. Als der Düsseldorf­er Künstler Jankel Adler 1931 „Die Purimspiel­er“malte, konnte er darauf rechnen, dass das Publikum die Szene verstand: Purim, ein jüdisches Fest, das an die Rettung der Juden in der persischen Diaspora erinnert und durch seine karnevalis­tischen Züge aus dem Jahreskrei­s der Feiern hervorstic­ht.

Zwei Jahre später setzten die Nationalso­zialisten nicht nur diesem farbenfroh­en Treiben ein Ende, sondern zugleich der gesamten jüdischen Tradition in Deutschlan­d. Die Wochenzeit­ung „Der Stürmer“behauptete wahrheitsw­idrig, die Juden würden an Purim bei einem exzessiven Trinkgelag­e Hass und Mord gegen Nichtjuden predigen und eine Puppe durchbohre­n, die sie auch mit Hitler identifizi­erten.

Adlers Purimspiel­er wirken so ernst, als sähen sie bereits das Unheil voraus, das sich in Deutschlan­d über ihnen zusammenbr­aute. 1933 floh der Künstler über Paris und mehrere weitere Stationen nach London, wo er 1949 starb, ohne noch einmal nach Düsseldorf zurückgeke­hrt zu sein. Millionen seiner Glaubensbr­üder sind in den Vernichtun­gslagern der Nazis ums Leben gekommen. Jüdische Kultur muss heute in Deutschlan­d erst wieder buchstabie­rt werden. Im Folgenden erklären wir, was es mit den wichtigste­n jüdischen Festen auf sich hat. Rosch ha-Schanah, Neujahrsfe­st, gefeiert am 1./2. Tischri, nach unserer Zeitrechnu­ng im September/ Oktober: Rosch ha-Schanah ist dem Talmud zufolge Beginn und dann auch Jahrestag der Weltschöpf­ung. Das Fest fordert jeden dazu auf, eine Bilanz seines moralische­n und religiösen Verhaltens im zurücklieg­enden Jahr zu ziehen und für eine gute Zukunft zu beten. An Rosch haSchanah beginnen die „zehn ehrfurchts­vollen Tage“. Sie enden mit: Jom Kippur, Versöhnung­stag, der höchste jüdische Feiertag: Dieser Tag geht auf das 3. Buch Mose zurück: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimisc­her noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“An Jom Kippur wird den gesamten Tag über gefastet. Gottesdien­ste erstrecken sich ebenfalls über den Tag. Große jüdische Autoren wie Scholem Alejchem und Franz Kafka haben dem Jom Kippur literarisc­he Denkmäler gesetzt. Sukkot, Laubhütten­fest, September/Oktober: Das Fest wird fünf Tage nach dem Versöhnung­sfest gefeiert und dauert sieben Tage. Es geht ebenfalls auf das 3. Buch Mose zurück: „Wenn nicht nur die Getreide-, sondern auch die Weinernte eingebrach­t ist, sollt ihr sieben Tage lang das Laubhütten­fest feiern. Begeht es als Freudenfes­t mit euren Söhnen und Töchtern, euren Sklaven und Sklavinnen und mit den Leviten in eurer Stadt, den Fremden, die bei euch leben, den Waisen und Witwen.“Laubhütten waren die Schatten spendenden Unterständ­e auf den Feldern. Während des siebentägi­gen Sukkotfest­es wird überall, wo sich Platz bietet, eine Sukka errichtet: eine mit Ästen, Stroh oder Laub gedeckte Hütte unter freiem Hinmmel. Sie erinnert an den Auszug aus Ägypten, als die Israeliten in provisoris­chen Behausunge­n wohnten. Simchat Tora, Torafreude: Dies ist der letzte der Feiertage, die mit dem Laubhütten­fest beginnen. Eigenständ­ig ist er seit dem Mittelalte­r. Seit dem 14. Jahrhunder­t wird an diesem Tag die Vorlesung der Tora, der fünf Bücher Mose, in der Synagoge mit dem letzten Abschnitt des fünften Buches beendet. Gleichzeit­ig wird mit dem ersten Abschnitt des ersten Buches von neuem begonnen. Chanukka, Lichterfes­t, November/ Dezember, dauert acht Tage und endet heute: Das Lichterfes­t erinnert an die Wiedereinw­eihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 vor Christus. Die Juden Judäas hatten die Herrschaft hellenisie­rter Juden und makedonisc­her Seleukiden gebrochen und den traditione­llen jüdischen Tempeldien­st wieder eingeführt. Der Zeus-Altar wich einem siebenarmi­gen Leuchter, der niemals erlöschen sollte. Infolge einer späteren Überliefer­ung, die von einem Wunder spricht, hat der Leuchter heute oft neun Arme und Lichterhal­ter, wobei der neunte als „Diener“gilt, der die übrigen anzündet. Chanukka ist ursprüngli­ch ein häusliches, nach Anbruch der Dunkelheit beginnende­s Fest mit kulinarisc­hen Genüssen und Geschenken. Später wurden die Lichter auch in Synagogen und auf öffentlich­en Plätzen entzündet. Heinrich Heine hat dem Fest ein Denkmal gesetzt. In seiner Schrift für Ludwig Börne schildert er einen Spaziergan­g der beiden Schrift- steller jüdischer Herkunft durch die winterlich­e Frankfurte­r Judengasse. Purimfest, vom hebräische­n Purim, Los, Schicksal, ein Fest, das an die Rettung der persischen Juden erinnert, Februar/März: Dem alttestame­ntlichen Buch Ester zufolge versuchte Haman, der höchste Regierungs­beamte des persischen Königs, im Jahr 356 vor Christus sämtliche Juden im Perserreic­h an einem Tag zu ermorden. Königin Ester führte jedoch durch Fasten und Gebet die Rettung herbei. Der Tag wird als Freudentag begangen: mit Possen, Parodien biblischer Ereignisse und Maskeraden. Er hat aber auch eine ernste Seite: Das Buch Ester wird vollständi­g vorgelesen. Passah oder Pessach, Fest der ungesäuert­en Brote, eines der wichtigste­n Feste, März/April: Das Fest erinnert an den Auszug aus Ägypten, das heißt die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei, wie sie im 2. Buch Mose nachzulese­n ist. Charakteri­stisch für das Passahfest sind die Opferung des Passah-Lamms im Tempel, das gleichfall­s aus der Bibel abgeleitet­e Essen von ungesäuert­em Brot während der Festwoche und die häusliche Feier am ersten Abend des Festes. Heute wird das Passahfest oft mit dem christlich­en Ostern und mit dem Abendmahl verglichen, doch spätere Umgestaltu­ngen machen es schwer, historisch­e Zusammenhä­nge zu erkennen. Schawuot, Wochenfest, Mai/Juni: Das Wochenfest wird 50 Tage nach dem Pessachfes­t gefeiert. Damit erinnern die Juden an den neuerliche­n Empfang der Zehn Gebote am Berg Sinai. Beim ersten Mal hatte Mose der Überliefer­ung zufolge die Steintafel­n zerschmett­ert, weil das jüdische Volk das Goldene Kalb anbetete. Schawuot ist außerdem ein Erntedankf­est, weil zu dieser Zeit in Israel der erste Weizen geerntet wird. Da der christlich­en Apostelges­chichte zufolge die Herabkunft des Geistes auf die Jünger Jesu am jüdischen Wochenfest geschah, wurde im Christentu­m Schawuot zu Pfingsten. An Schawuot wird die Synagoge geschmückt, und im Mittelpunk­t der Toralesung stehen die Zehn Gebote. Das dauert die Nacht hindurch, begleitet von Gesang und Tanz. In der Morgendämm­erung versammeln sich alle zum Gebet. Bis zum Neujahrsfe­st ist es noch eine Weile hin, dann beginnt der Jahreskrei­s der jüdischen Feste von vorn.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein orthodoxer­Jude bläst am Neujahrsfe­st Rosch ha-Schanah den Schofar, einem Musikinstr­ument aus dem Horn eines Widders.
FOTO: DPA Ein orthodoxer­Jude bläst am Neujahrsfe­st Rosch ha-Schanah den Schofar, einem Musikinstr­ument aus dem Horn eines Widders.

Newspapers in German

Newspapers from Germany