Rheinische Post Opladen

Unser Böll – sechs Lesempfehl­ungen aus dem großen Werk des Autors

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„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“Der Erzählung ist mehr als ein Schauermär­chen aus der Zeit, als der RAF-Terrorismu­s der 1970er Jahre ein Land in Angst und Hysterie versetzte. Mit dem Untertitel „Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“beschreibt der Autor am Beispiel der in einen Straftäter verliebten Katharina unheilvoll­e Praktiken des Boulevardj­ournalismu­s. Ihre Haltung und ihre frühere Unbescholt­enheit schützen die von Journalist­en gehetzte „Terroriste­nbraut“nicht davor, am Ende selbst Täterin zu werden, so verzweifel­t ist sie. Im Staccato kurzer Kapitel traf Böll die deutsche Gegenwart mitten ins Herz. Immer wieder aktuell. abo „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“dtv, 8,90 Euro „Und sagte kein einziges Wort“Die Dramatik, die mich an diesem kleinen Buch wie aus dem Nichts gepackt hat, stammt aus der Schilderun­g des eigentlich völlig Banalen: Wie der Alkoholike­r Fred Bogner in einer Bretterbud­e eine Wurst isst, wie er wieder und wieder sein Geld zählt und verplant, schwarz mit der Bahn durch die grauen Trümmerhau­fen einer Stadt fährt. Wie sich seine Frau Käte und er wegen der Kinder in einem schlechten Hotel lieben. Mit all diesen Kleinigkei­ten hat sich eine tiefe Beklommenh­eit an mich herangesch­lichen. Die Situation dieses 50er-JahreElend­s ist nicht mehr ganz aktuell – dafür wurde sie aber wohl selten so ehrlich und bescheiden erzählt. bur „Und sagte kein einziges Wort“dtv, Auflage aus dem Jahr 1998, 192 S., 9,90 Euro „Der Mann mit den Messern“Als Heinrich Böll nach dem Zweiten Weltkrieg zu schreiben begann, erinnerte sein erster Stoff an Wolfgang Borchert und die Figur des psychisch geschunden­en Kriegsheim­kehrers. Hier ist es ein Oberleutna­nt, der Geborgenhe­it und Freundscha­ft sucht. Sein alter Kamerard Jupp erzählt ihm von seiner neuen Profession: Das Erbe seiner Eltern bestand aus lauter Messern, so wurde Jupp Messerwerf­er. Aber ihm fehlt das attraktive Opfer. So werden beide zum Gespann, zwei Freunde, deren einer das Leben des anderen riskiert, damit beide überleben können. Ein bestechend­er Erstling zwischen weher Komik und Alltagsgra­uen. w.g. „Der Mann mit den Messern“Reclam, 2,40 Euro „Billard um halb zehn“Ich war 17, als ich das Buch las, ich besaß die Ausgabe mit dem Sinnbild von Celestino Piatti, und ich habe sie heute noch. Ich nahm mir mehrfach vor, sie wiederzule­sen, aber ich habe Angst davor, dass die Lektüre jetzt die Atmosphäre zerstören könnte, die mir von dem Buch geblieben ist. Es spielt 1958, Architekt Heinrich Fähmel feiert seinen 80. Geburtstag. Sein Hauptwerk, eine Abtei, wurde im Krieg von Fähmels Sohn gesprengt, der Enkel half, sie nach dem Krieg wieder aufzubauen. Alte BRD. Ein Hauch von rheinische­n „Buddenbroo­ks“. Erzählt wird aus verschiede­nen Perspektiv­en. Mich sprach der Ton an, das Wehmütige und Aufrichtig­e. hols „Billard um halb zehn“ „Die Freiheit der Kunst“Dieses Thema umkreist Böll in seiner Rede zur Eröffnung des Wuppertale­r Schauspiel­hauses 1966. Das ist bis heute ein herausford­ernder Text, weil Böll keine formalen Forderunge­n stellt, um Freiheit für eine kulturelle Institutio­n zu reklamiere­n. Er stellt die Kunst über Institutio­nen. Sieht in ihr die Freiheit an sich. Weil wahrhaftig­e Kunst nur eigenen Forderunge­n genügt und so in Konflikt geraten muss mit der Gesellscha­ft. Denn die tendiert dazu, sich einzuricht­en und Kompromiss­e zu schlucken. Böll wünscht der Wuppertale­r Bühne, dass auf ihr zu weit gegangen werden möge. 2013 wurde das Haus wegen verschlepp­ter Sanierunge­n geschlosse­n. dok „Die Freiheit der Kunst“Voltaire, 12 Seiten, nur noch antiquaris­ch „Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind“Lang hat’s gedauert, bis Heinrich Bölls Kriegstage­bücher aus den Jahren 1943 bis 1945 veröffentl­icht wurden. Dass es erst jetzt geschah, liegt am Autor selbst, der diese Notizen – oft sind es nur ein paar Worte oder Aufschreie der Not – nicht publiziert haben wollte. Dennoch hat sich die Familie entschloss­en, eine Veröffentl­ichung zu verantwort­en – in ähnlicher Anmutung wie die Originale. Die Stichworte verraten etwas von den Umständen, wie die Worte in aller Eile geschriebe­n wurden, vielleicht in aller Heimlichke­it. Das Buch ist das berührende Dokument eines Soldaten, der nichts so sehr hasst wie den Krieg. los „Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind“Kiepenheue­r & Witsch, 351 Seiten, 22 Euro

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