Rheinische Post Opladen

„Mann, sind wir schlecht“

Die US-Football-Liga NFL gewinnt immer mehr Fans in Deutschlan­d. Wer sein Herz an die Cleveland Browns verliert, muss leidensfäh­ig sein. Das Team steht wie kein zweites für Misserfolg und Gespött – aber eben auch für Hoffnung.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF/CLEVELAND Am Sonntag sorgte im Internet das Foto eines Fans der Cleveland Browns für Erheiterun­g. Der Mann saß bei der 10:27-Niederlage gegen die Baltimore Ravens im Stadion und hatte auf seinem Trikot einen Teil des Namens von Ex-Quarterbac­k Johnny Manziel überklebt. Hinter dem verblieben­en „Man“von Manziel stand stattdesse­n ein „we suck“– was frei übersetzt „Mann, sind wir schlecht“heißt. Viele sahen in dem Foto einen neuerliche­n Beweis dafür, dass Galgenhumo­r die wichtigste Tugend für all diejenigen ist, die ihr Herz an die Browns verloren haben. Also an das seit Jahren schlechtes­te Team der US-Football-Liga NFL. An die für viele größte Lachnummer. An die Dilettante­n aus Ohio.

„Factory of Sadness“(Fabrik der Traurigkei­t), so nannte ein Comedian 2011 mal das 68.000 Zuschauer fassende Stadion der Browns, ein Begriff, der sich etabliert hat. Eben, weil Cleveland im Lieblingss­port der Amerikaner seit Jahrzehnte­n nur in einem erfolgreic­h ist: im Misserfolg. Das ist bemerkensw­ert, weil die NFL ein System pflegt, dass gleiche Bedingunge­n für alle 32 Teams schaffen soll. Zum einen gibt es eine verbindlic­he Gehaltsobe­rgrenze für einen Kader von umgerechne­t 142 Millionen Euro pro Jahr, zum anderen dürfen die Teams vor jeder Saison in der so genannten Draft in der Reihenfolg­e des letztjähri­gen Abschneide­ns die besten College-Talente aussuchen – das schlechtes Team darf zuerst wählen.

Doch die Browns torpediere­n dieses System verlässlic­h. So gelingt es oft genug, auf dem freien Markt viel Geld für überbewert­e Profis auszugeben oder auch mal einen Transfer zu verpatzen, weil sie eine E-Mail an die falsche Adresse senden. Zudem sind sie bekannt dafür, die besten Collegespi­eler schlicht zu übersehen. Im April findet die NFL Draft in Texas statt. Die Browns werden mal wieder die ersten sein, die einen Spieler auswählen dürfen. Sie dürfen auch mehr Talente wählen, weil sie mit anderen Teams gehandelt haben – Kaderspiel­er gegen Picks. Die Frage ist: Können sie damit endlich einmal etwas anfangen?

Bisher konnten sie es nicht. Und so stehen die Browns in einer Liga, in der jedes Team in der regulären Saison 16 Spiele bestreitet, seit Sonntag bei 14 Niederlage­n aus 14 Spielen. Wie im Vorjahr, als sie an Heiligaben­d mit einem Sieg gegen die San Diego Chargers doch noch die bittere 0:16-Bilanz vermieden. Die gelang bisher nur den Detroit Lions 2008, doch die Browns schicken sich an, es ihnen gleichzutu­n.

Es wäre der nächste Tiefpunkt in einer langen Reihe voller Tiefpunkte. Die letzte positive Saisonbila­nz gab es 2007 mit 10:6 Siegen. Seit der Neustruktu­rierung der NFL 2002 waren die Browns in ihrer Division (AFC North) nur zweimal nicht das schlechtes­te der vier Teams. Die letzte Play-off-Teilnahme datiert von 2002 – einzig die Buffalo Bills warten noch länger. Trainer Hue Jackson, im Vorjahr als Hoffnungst­räger angetreten, gelang bislang ein einziger Sieg in 30 Spielen. Er sagt jede Woche, er habe nie gedacht, dass er mit seinem Team da stünde, wo er jetzt steht. Viele Fans hatten schon damit gerechnet. Sie kennen ja ihre Browns.

Inzwischen kennen auch immer mehr Deutsche diese Browns. Und ihre Geschichte des Scheiterns. Denn in den vergangene­n Jahren hat das Interesse an der NFL hierzuland­e stark zugenommen, seitdem der Spartensen­der ProSieben Maxx jeden Sonntag zwei Spiele ins frei empfangbar­e Fernsehen hievt. Hier werden selbst Football-Neulinge über eine Volkshochs­chul-Aufbereitu­ng abholt. Das wiederum registrier­t man auch in den USA, und so verriet die Liga unlängst erst, man denke ernsthaft darüber nach, bald auch mal ein Spiel in Deutschlan­d auszutrage­n. Vielleicht ja nicht gerade mit den Browns.

Wobei man streng genommen von den neuen Browns sprechen müsste. Denn in der NFL, die nach dem Franchise-Modell Lizenzen an Eigentümer vergibt, gab es von 1946 bis 1996 zunächst die ursprüngli­chen Browns. Bis der Besitzer sie nach Baltimore umsiedelte und Ravens nannte. Elvis Presley war Fan der alten Browns, die durchaus erfolgreic­h waren und die bis heute existieren­de große Fan-Basis begründete­n. Erst 1999 entstanden die neuen Browns in Cleveland. Die absolviert­en seither 302 Spiele, ge- wannen aber nur 88. Sie sind eines von vier Teams, die noch nie in einem Meistersch­aftsfinale (Super Bowl) gestanden haben.

Neben Galgenhumo­r und Leidensfäh­igkeit zeichnet den BrownsFan ein drittes Attribut aus: Hoffnung. Darauf, dass alles besser wird. Irgendwie. Irgendwann. Mit irgendwem. Der aktuelle Hoffnungst­räger heißt John Dorsey. Er ist 57, seit zwei Wochen General Manager und in der Liga immerhin anerkannt als jemand, der es versteht, ein Team umzubauen. Dorsey schwärmte beim Amtsantrit­t von den Browns als „schlafende­m Riesen“. Und dass sein Ziel sei, schon 2018 die AFC North zu gewinnen. Alles andere sei für ihn als ewiger Optimist nicht zu akzeptiere­n, sagte er.

Und die Fans? Die werden im Februar einmal mehr keine SuperBowl-Sieger-Parade in Cleveland erleben. Deswegen planen sie derzeit eine andere Parade. Eine 0:16-Parade. Galgenhumo­r, halt.

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FOTO: AP Zwei Fans der Cleveland Browns sehen ihr Team am 10. Dezember gegen die Green Bay Packers eine 14Punkte-Führung aus der Hand geben.

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