Rheinische Post Opladen

Kein Gatter für Pferde

Poesie aus Kirgistan: Aktan Arym Kubats Film „Die Flügel der Menschen“.

- VON CHRISTIAN FAHRENBACH

(dpa) Wenn Zentaur reitet, dann hält er sich dabei nicht am Zaumzeug des Pferdes fest. Der alte Mann reißt die Arme im Galopp weit nach oben, dem Himmel über Kirgistan weit entgegen. „Pferde sind die Flügel der Menschen“, lautet ein Sprichwort dort – und der zweite Teil dieses Satzes ist nun der Titel eines poetischen Spielfilms, in dem Regisseur Aktan Arym Kubat auch die Hauptrolle des sentimenta­len Zentaur übernimmt.

Der schlägt sich in der weitläufig­en Gras- und Steppenlan­dschaft tagsüber als Hilfsarbei­ter auf Baustellen durch und ernährt so seine taubstumme Frau und den fünfjährig­en Sohn. Früher war er Vorführer alter Filme für die wenigen Menschen seines Dorfs, und noch heute liegt in seinen sanften Augen ständig die Sehnsucht nach den Legenden einfachere­r Zeiten.

Doch auch durch die Gesellscha­ft Kirgistans geht bereits ein Riss, denn neben Zentaur und seinem einfachen Leben sind andere längst zu Geld gekommen. Sie leisten sich teure Rennpferde – für ihn ein Verrat am stolzen Erbe der gemeinsame­n Vorfahren und den Werten ihres Volkes. Nachts schleicht er in die Ställe und befreit die Tiere. Um Geld oder Ruhm geht es ihm nicht, stattdesse­n sehnt er sich nach einer Zeit, als der Zusammenha­lt seiner Gesellscha­ft stark war und mehr Menschen mit ihren Wurzeln, Legenden und Mythen verbunden waren.

Es ist der sechste abendfülle­nde Spielfilm Kubats, der im Jahr 1998 den ersten Film des unabhängig­en Kirgistans überhaupt vorgelegt hat. Später hatte er mit „Der Dieb des Lichts“auch in Deutschlan­d einen Achtungser­folg. Mit „Die Flügel der Menschen“(im Original nach seiner Hauptfigur „Centaur“betitelt) hat er nun bei der Berlinale in der Panorama-Sektion den Preis des Internatio­nalen Verbands der Filmkunstt­heater gewonnen. Und auch bei den Oscars ist er für Kirgistan als bester fremdsprac­higer Film ins Rennen gegangen, kam aber nicht auf die Mitte Dezember veröffentl­ichte Shortlist.

Möglicherw­eise liegt das am extrem ungewöhnli­chen Thema und dessen Umsetzung: Kubat erzählt seine poetische Geschichte in einer Geschwindi­gkeit, die unseren Sehgewohnh­eiten nicht mehr entspricht. Wem es aber gelingt, sich gerade darauf einzulasse­n, der findet hier einen gerade einmal gut 80 Minuten langen Film, der die Natur, die Menschen und ihre Legenden feiert. In langen Einstellun­gen bleibt Kubat auf dem Provisoris­chen hängen, filmt unverputzt­e Wände und den hoch aufstreben­den Sand, der über die wenigen Straßen weht.

Auch am Ende reißt er noch einmal die Arme auf einem Pferd sitzend nach oben – und spätestens da geht die mystische Rechnung dieses souveränen und ungewöhnli­chen Films auf. „Die Flügel der Menschen“, Kirgistan/ Niederland­e/Frankreich/Deutschlan­d/Japan 2017, 89 Min., FSK ab 6, von Aktan Arym Kubat, mit Aktan Arym Kubat, Nuraly Tursunkojo­ev, Zarema Asanalieva

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FOTO: DPA Zentaur (Aktan Arym Kubat) schenkt den edlen Tieren die Freiheit.

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