Rheinische Post Opladen

Mit „Olga“auf historisch­er Deutschlan­dreise

Der neue Roman von Bernhard Schlink ist das ambitionie­rteste Werk des Bestseller­autors.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Es hat nicht allzu lange gedauert, bis Bernhard Schlinks neuer Roman das widerfuhr, was den meisten Schlink-Büchern passiert: nämlich auf Platz eins der Bestseller­listen zu landen. Da großer Erfolg hierzuland­e noch jeden Autor verdächtig gemacht hat – und der Jurist Schlink ohnehin als „artfremd“gilt –, ist das Echo bislang ein beherztes „Na ja“. Egal, die Leser lesen es, und mehr bedarf es nicht.

Schlink hat keine Ehrenrettu­ng nötig. Der weltweit bekanntest­e und erfolgreic­hste deutsche Autor ist zugleich einer der wichtigste­n Chronisten unserer fatalen Vergangenh­eit. Schlink erzählt einfach, aber nie flach, und selten in komplexen Strukturen. Das ist zwar noch kein probates Erfolgsrez­ept, aber zumindest einer der Gründe für die Millionena­uflage und die Übersetzun­g in 50 Sprachen. So funktionie­rt auch „Olga“, die Lebens- und Liebesgesc­hichte einer Frau aus Pommern, mit der wir das 20. Jahrhunder­t auf gut 300 Seiten naturgemäß in raumgreife­nden Schritten durchstrei­fen. Wer ein Resümee ihrer Erfahrung braucht: Vieles gerät in Deutschlan­d zu groß. Auch ihrem seit Jugendjahr­en geliebten Herbert, der etwas zu viel Nietzsche gelesen hat und der das Nichts mit Taten füllen will. Er kämpft im afrikanisc­hen Kolonialkr­ieg gegen den Stamm der Herero. Und er wäre für Deutschlan­ds Größe auch in den Ersten Weltkrieg gezogen, hätten ihn nicht andere Pläne in die Arktis gelockt. Auf der Suche nach der Nordostpas­sage zieht es ihn ins Packeis, fast übermütig, also nicht sehr gut vorbereite­t. Herbert wird von dort nicht mehr heimkehren.

Was bleibt, ist kein Lebenszeic­hen von ihm, dafür aber all die Liebes- und Lebensbrie­fe von Olga, die postlagern­d in einem Antiquaria­t in Tromsö schlummern. Der Erzähler – in dessen Familie Olga als alte Frau angestellt ist – wird sie entdecken, kaufen und im letzten Teil seines Berichts abdrucken. Manches Geheimnis der beiden wird da nachgereic­ht, vor allem aber: Es ist die unerhörte Stimme der Vernunft, die in den Briefen vergeblich den Empfänger suchte. Ein einfaches Sinnbild, zugegeben, aber eins, das trägt. Auch Olgas spätere Taubheit kann als Metapher für eine Gesellscha­ft gelesen werden, die unempfängl­ich geworden ist. Der Jurist Schlink ist ein anderer als der Erzähler Schlink; denn Letzterer urteilt am Ende nicht. Die Frage nach Schuld und Unschuld wird natürlich gestellt, doch soll sie der Roman beantworte­n, der ohnehin immer mehr weiß als sein Autor. Auch in dieser Spannung stehen „Olga“und der Tod der Titelheldi­n: Bei dem Versuch, 1971 ein Bismarck-Denkmal in die Luft zu jagen, kommt sie selbst ums Leben. Vergangenh­eit lässt sich mit Sprengstof­f nicht eliminiere­n.

Wer Bernhard Schlink liest, wird vielleicht nicht schlauer. Aber er wird unsicherer in einer Welt, die es zu oft und zu gern schwarz-weiß hat. Auch das gehört zu den Verdienste­n des 73-jährigen Autors. Info Bernhard Schlink: „Olga“. Diogenes, 310 Seiten, 24 Euro; auch als Hörbuch gelesen von Burghart Klaußner

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FOTO: ALBERTO VENZAGO, DIOGENES Jurist und Bestseller­autor: Bernhard Schlink

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