Festival vor dem Fenster
Es war so auffällig ruhig, gestern in der Opladener Fußgängerzone, beschauliche Stille herrschte unter den Fenstern unserer Redaktion. Den außergewöhnlichen Zustand dürften wir den niedrigen Temperaturen zu verdanken haben. Vielleicht auch der Grippewelle, die viele so hochambitionierte Musiker zur Ruhe zwingt. Wir alle sind dankbar für diese kleine Auszeit, von der wir wissen, dass sie nicht lange dauern wird. Denn es herrscht ansonsten Festivalstimmung auf dem Pflaster vor den Fenstern – das ganze Jahr über. Ein Kommen und Gehen, ein ständiges Trillern, Pfeifen, Singen, Quetschen, Dröhnen. Wir erinnern uns an die klanggewaltigen Vorstellungen der chilenischen Panflöten, an den einbeinigen Trompeter und den Orgelmann mit dem Affen auf der Schulter, der zum Glück nur drei bis vier mal im Jahr vorbeischaut. Man hätte glauben können, dass die monotone Gleichförmigkeit der Darbietungen vielleicht den Effekt einer Meeresbrandung simulieren und irgendwann überhört werden könnte. Doch dafür waren die Brandungsgeräusche einfach zu laut. Das gilt wohl auch für das monotone Jaulen einer Bob-Dylan-Kopie, die mit „Blowing in the Wind“unseren angestrengten Versuchen, nun doch noch einen einigermaßen zusammenhängenden Text zu formulieren, den Wind aus den Segeln nahm.
Deutlich mehr Pfeffer brachte da die ukrainische Hackbrett-Combo aufs Straßenpflaster. Die vier lustigen Musikanten ließen vor unseren im Sommer geöffneten Fenstern nichts anbrennen. Das wüste Geschrabbel brauchte keine Lautsprecher oder Verstärker, um unsere Gehörgänge schmerzhaft zu reizen und im Kollegenkreis mitunter komatöse Trancezustände zu bewirken. Der Presslufthammer-Gesang einer beleibten Dame ergänzte das kollektive Schmerzempfinden der Kollegen auf perfekte Weise. Es war dieselbe Künstlerin, die als unverlangte Zugabe uns mit einer Art Backstage-Begegnung verwöhnte. Unerwartet benutzte sie unseren Innenhof als Garderobe, um sich für die nächste Nummer umzuziehen.
So genießen wir die relative Winterruhe, die immer noch laut genug ist. Dafür sorgt der balkanesische Akkordeonmann, der die gesamte Fußgängerzone als seine tägliche Bühne betrachtet und die Bank vor unserem Fenster besonders zu lieben scheint. Dass es eine Straßensatzung gibt und demnach aus Rücksicht auf die arbeitende Bevölkerung jede Darbietung auf 20 Minuten begrenzt blieben muss, versteht er offenbar nicht. Gestern hatte er frei, die Musik Ruh’. Herrlich!