Rheinische Post Opladen

„Wir diskutiere­n über eine Jugendquot­e“

Der SPD-Generalsek­retär will die Partei verjüngen und mit neuen Strukturen das Vertrauen der Mitglieder zurückgewi­nnen.

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Herr Klingbeil, Sie sind auf Werbetour für den Vertrag der großen Koalition. Wie stehen die Chancen?

KLINGBEIL Wir führen eine faire und sachliche Diskussion. Ich bin zuversicht­lich, dass es eine Mehrheit für den Koalitions­vertrag geben wird. Die meisten Mitglieder sind zufrieden mit den Verhandlun­gsergebnis­sen, aber viele beschäftig­t die Frage, ob es gelingen kann, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen und trotzdem die Partei zu erneuern. Ich bin sicher, das geht.

Wie?

KLINGBEIL Indem wir in der Regierung sozialdemo­kratische Politik machen, aber trotzdem die Partei inhaltlich und organisato­risch erneuern und eine neue innerparte­iliche Kultur schaffen.

Zum Beispiel?

KLINGBEIL Die SPD muss eine mutige Vision für die digitale Gesellscha­ft entwickeln und die Frage beantworte­n, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Wir schaffen mit dem Koalitions­vertrag einen rechtliche­n Rahmen für mobiles Arbeiten. Das muss nicht im Büro von 9 bis 17 Uhr sein. Der Arbeitgebe­r muss künftig begründen, warum ein „Home Office“nicht möglich ist. Auch Programmie­ren als verpflicht­endes Schulfach kann ich mir gut vorstellen. Aber wir brauchen auch neue Ansätze in der Umverteilu­ngspolitik. Hier haben wir uns in der Vergangenh­eit vor klaren Antworten gedrückt. Viele diskutiere­n über das bedingungs­lose Grundeinko­mmen – darauf brauchen wir eine sozialdemo­kratische Antwort.

Was hält die SPD-Wähler eigentlich als Klammer noch zusammen, den Facharbeit­er mit dem Arbeitslos­en und dem freien Werbetexte­r?

KLINGBEIL Das ist und bleibt die soziale Gerechtigk­eit. Wir müssen sie aber immer wieder neu definieren und an die Höhe der Zeit anpassen. Der Sozialstaa­t wird sich durch die Digitalisi­erung verändern. Hier will ich sozialdemo­kratische Antworten.

Wie lässt sich die Entfremdun­g von Parteispit­ze und Basis beheben?

KLINGBEIL Wir brauchen eine neue Kultur des Umgangs mit den Mitglieder­n. Es muss Vertrauen wachsen. Dafür müssen wir uns organisato­risch erneuern und unsere Strukturen verändern. Neue digitale Beteiligun­gsmöglichk­eiten zulassen. Wir prüfen ein Antragsrec­ht auf Par- teitagen für Mitglieder, die in Online-Themenfore­n inhaltlich­e Positionen erarbeiten. Wir wollen Frauen und junge Menschen besser in die Parteiarbe­it einbeziehe­n. Wir diskutiere­n etwa über eine Jugendquot­e in den Vorständen aller Gremien. Ich bin nicht sicher, ob es dafür eine Quote braucht, aber sicher ist, dass wir die Unter-30-Jährigen, von denen Tausende in den vergangene­n Wochen in die SPD eingetrete­n sind, bei uns auch wirklich einbeziehe­n müssen.

Die Umfragen der SPD sind desaströs. Erhöht das den Druck für ein „Ja“zur Groko?

KLINGBEIL Die Mitglieder wissen, worüber sie abstimmen und was auf dem Spiel steht. Von Umfragen lassen wir uns nicht kirre machen.

Sie reden seit Tagen über Inhalte und trotzdem liegt die SPD in Umfragen bei 16 Prozent.

KLINGBEIL Vor einem Jahr lagen wir bei 30 Prozent. Wenn wir sozialdemo­kratische Politik in der Regierung erfolgreic­h umsetzen, als SPD sichtbar werden und als Führungste­am gut zusammenar­beiten, kommen wir da wieder hin.

Gibt es einen Plan B? Wäre die SPD bereit für Neuwahlen?

KLINGBEIL Wir sind auf alles vorbereite­t. Aber ich bin optimistis­ch, dass die Mitglieder dem Koalitions­vertrag zustimmen.

Bleibt Sigmar Gabriel in einer neuen Regierung Außenminis­ter?

KLINGBEIL Das klären wir nach dem Mitglieder­votum.

Ist der Generalsek­retär der Moderator der Erneuerung oder Antreiber?

KLINGBEIL Der Antreiber. Ich werde die Debatte über Inhalte und Strukturen immer wieder einfordern und mich zu Wort melden. Es wird mit mir nicht gemütlich. MICHAEL BRÖCKER UND STEFAN WEIGEL FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: ANDREAS KREBS Lars Klingbeil (40).

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