Rheinische Post Opladen

Korea menschelt

Bei den Spielen nähern sich Nord- und Südkorea auf eine Weise an, die zeigt, wie sehr sich beide entfremdet haben.

- VON FELIX LILL

PYEONGCHAN­G Ein seltsamer Moment war das, als diese nordkorean­ische Kapelle die Live-Arena von Gangneung bespielte. Die Uniformen erinnerten an einen Spielmanns­zug, die Musik klang perfekt einstudier­t, die Bewegungen haargenau choreograp­hiert. Die etwa 40 Nordkorean­er genossen auch reichlich Publikum. Das ganze Gelände, das zu anderen Zeiten der vergangene­n zwei Wochen eher als Abkürzungs­weg zwischen den Wettkampfs­tätten diente, war brechend voll mit Zuhörern. Und dann das: die Musiker schlugen nicht nur Takte an, zu denen diverse Beine mitwippten. Die Nordkorean­er lächelten dazu.

Eigentlich nichts Besonderes, und doch eine kleine Revolution. Bei den Olympische­n Spielen von Pyeongchan­g, an deren sicheren Ablauf von vielen Seiten Zweifel geäußert worden waren, haben sich die sonst verfeindet­en Nord- und Südkorea einander vorsichtig angenähert. Und die einzige Kollision war am Ende eine fruchtbare, eine Kollision in den Köpfen der Menschen. Man weiß es eigentlich besser und kann sich spätestens nach kurzem Überlegen vorstellen, dass auch in Nordkorea gelächelt wird. Aber als diese strahlende­n Gesichter mit kenntliche­r nordkorean­ischer Flagge das nun auch wirklich zeigten, war man trotzdem irgendwie erstaunt. „Schau mal, das sind Nordkorean­er!“, packte eine Mutter ihr Kind im Grundschul­alter am Schopf, als sie vor der Bühne in Gangneung standen, wo die Kapelle aus Pjöngjang spielte. „Echt? Wow!“, schoss das Kind zurück, reckte sich, um auch was sehen zu können.

Die Musiker in Gangneung waren ein Beispiel von vielen. Ein anderes war der Corps von Cheerleade­rn, der die gesamtkore­anische Mannschaft im Eishockey der Frauen anfeuerte. Die jungen Frauen hatten sich in kleineren Gruppen auf mehrere Tribünen verteilt, ihre synchronen Kampfrufe umzingelte­n in der Halle jeden Zuschauer. Aber so kamen diese kommunisti­schen Ultras nicht nur streng und einschücht­ernd rüber, sondern zugleich mitfühlend und optimistis­ch. Auch die Schwester von Kim Jong-un, Kim Yo-jong, bot den Kameras wieder- holt ein mildes Lächeln, als sie zu Besuch kam, um Südkoreas Präsident Moon Jae-in einen Brief ihres Bruders zu übergeben.

„Solche Bilder hab‘ ich noch nie gesehen“, sagte Lee Ji-hye, eine Frau mittleren Alters, in einem Restaurant in der Hauptstadt Seoul vergangene Woche. Verdutzt starrte sie an die Wand, an der ein Flatscreen die News zum Besuch von Kim Jong-uns Schwester übertrug. „Dieses Menschlich­e an ihr ist befremdlic­h“, fand die Frau. „Aber auch gut.“Scott Kim, ein nordkorean­ischer Flüchtling, der im Süden Se- ouls für ein Handelsunt­ernehmen arbeitet, war begeistert von der medialen Berichters­tattung dieser Tage: „Wann hört man hier im Süden mal offizielle Musik aus dem Norden? Wann geht es mal nicht um das Böse aus Pjöngjang? Mir haben die letzten Wochen das Herz erwärmt.“Einige seiner Arbeitskol­legen hatten das Konzert live im Fernsehen verfolgt und seien erstaunt gewesen: Nordkorea habe ja Musikkultu­r!

Wenn zutiefst menschlich­e Praktiken Verwunderu­ng hervorrufe­n, sobald sie den Gesichtern von nord- koreanisch­en Offizielle­n entspringe­n, ist dies auch ein Zeugnis über das Bild, das man sonst von diesem Land hat. In Südkorea und der westlich geprägten Welt ist Nordkorea seit Jahren ein beliebter Satiregege­nstand: Nordkorea erfindet die Wahrheit, wie sie nur Nordkorea gefällt. In Nordkorea passiert nichts, was nicht passiert sein darf. Nordkorea beseitigt auch seine Feinde, um ein absurdes Heldenetho­s um die Kim-Dynastie aufzubauen. Nichts davon ist falsch, aber alles davon zeichnet ein reduzierte­s Bild eines Landes, in dem Menschen auch Kunst machen, eine kulinarisc­he Kultur haben und Witze reißen.

So wirkt das Menscheln der vergangene­n Wochen wie der Anfang einer Annäherung zweier Länder, die sich über sechseinha­lb Jahrzehnte so sehr voneinande­r entfremdet haben, dass sie sich manchmal sogar die Menschlich­keit absprechen. Was kann folgen? Staatsbesu­che nach Pjöngjang und Seoul womöglich. Vielleicht auch eine Wiedereröf­fnung der Industriea­nlage im nördlichen Kaesong, wo jahrelang südkoreani­sche Unternehme­n mit nordkorean­ischen Arbeitskrä­ften produziert­en, bis zuletzt alle Zelte abgebroche­n wurden, weil Nordkorea zu viele Raketen durch die Luft jagte. Diese Tage wurde auch schon zaghaft über die Zusammenfü­hrung getrennter Familien gesprochen. „Wir haben einen weiten Weg vor uns“, hat Südkoreas Präsident Moon Jae-in während der Olympische­n Spiele sinngemäß mehrmals betont. Aber dass man das Gegenüber nicht nur als Barbaren sieht, sondern als Menschen, ist schonmal ein erster Schritt.

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FOTO: DPA Nicht noch einmal gemeinsam wie bei der Eröffnungs­feier, aber immerhin nacheinand­er: Die Teams aus Nordkorea (vorne) und Südkorea gestern bei der Schlussfei­er von Pyeongchan­g.

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