Rheinische Post Opladen

Akustische Illusionen aus Flingern

George F. Hapig ist Geräuschem­acher. In seinem Studio in Düsseldorf produziert er Sounds für internatio­nale Filmproduk­tionen.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

George F. Hapigs Arbeitspla­tz liegt in einem Hinterhof an der Flurstraße in Flingern. Der 62-Jährige begrüßt in Imperative­n: „Reinkommen. Hinsetzen. Zuhören.“Er trägt eine graue Arbeitshos­e mit Hosenträge­rn. Unter dem roten Polohemd wölbt sich ein stattliche­r Bauch. Seit knapp 20 Jahren ist der DeutschBri­te im Geräusch-Geschäft. Eine Frage verbittet er sich gleich zu Beginn: die nach dem schwierigs­ten Sound. Und den Begriff Geräuschem­acher mag er auch nicht. „Unsere Bandbreite ist viel größer.“Er präferiert die englische Bezeichnun­g, Foley Artist. Der US-Amerikaner Jack Foley war in den sechziger Jahren einer der Ersten, die Filme mit Sounds untermalte­n.

Hapig hat den Beruf des Toningenie­urs gelernt. Von da kam er zum Geräuschem­achen. Er hat „Columbo“vertont, „Law & Order“oder „Es war einmal ... der Mensch“. Im Ein- gangsberei­ch seines Raum-Labyrinths hängen unzählige Filmplakat­e. Natürlich sei er filmverrüc­kt, so Hapig. „Sonst brauchen Sie den Job gar nicht zu machen.“

Die Herzkammer der „Foley Lounge“ist ein Raum, der auf den ersten Blick anmutet wie das Reich eines echten Messies. Freie Quadratzen­timeter sind hier Mangelware. Zerknitter­te Filmrollen lagern neben Flaschen, Tauen, alten Schreibmas­chinen, Bügeleisen, Kabeln, Stangen und Gittern. Mittendrin: eine Toilettens­chüssel. All das wirke nur auf den ersten Blick chaotisch, erklärt Hapig. „Alles hat seinen festen Platz. Ich weiß genau, wo ich was finde.“An der Wand lehnen zwei Motorhaube­n. Auf dem Boden ist ein buntes Potpourri an Belägen verlegt: Bürgerstei­g, Parkett, Fliesen, Teppich. Waldboden. Jeder Schuh, jeder Untergrund hat seinen eigenen Klang. Der Foley Artist verfügt über 60 Paar Schuhe, mit denen er unterschie­dlichste Schrittger­äu- sche erzeugen kann. Dann beginnt seine Demonstrat­ion. Wieder mit einem Imperativ: „Augen schließen!“Man hört: Schritte im Schnee. „Augen auf!“Man sieht: Einen Jutebeutel mit Maismehl, der vom Spezialist­en geknetet wird. Die akusti- sche Illusion, sie ist perfekt. Mittels einer zerknitter­ten Filmrolle simuliert Hapig brechendes Geäst. Und mit Hilfe von Speichel, den er mit dem Finger auf einer Kühlerhaub­e verreibt, einen rutschende­n Körper in der Badewanne.

Keine Frage: Sein Beruf erfordert jede Menge Fantasie. Welche Geräusche sind seine Spezialitä­t? Die Antwort kommt schnell: „Wasser und Waffen.“Er steht kurz auf, verlässt den Raum und kommt mit einer AK 100 zurück. „Eine Pumpgun“, erklärt er, natürlich nur eine Nachbildun­g. „Das ist Arnies Waffe. Die taucht in allen Schwarzene­ggerFilmen auf.“Hapig nutzt die Replika lediglich für Nachladege­räusche. Die Schieß-Sounds kommen hingegen aus dem Archiv. Alles andere sei zu aufwendig, bedürfe zahlreiche­r Genehmigun­gen.

Während er das erklärt, hat sich der Foley Artist umgezogen. Er trägt nun einen dunkelgrün­en Angleranzu­g – und geht voran, die Treppe hinab. Im Keller des Studios steht ein 8000-Liter-Pool. „Hier werden sämtliche Wassergerä­usche aufgenomme­n.“Paddelnde Boote. Ein Körper, der ins Wasser plumpst. Ein U-Boot, in das Wasser eindringt. Während Hapig im Becken steht und das Geräusch erzeugt, sitzt eine Etage höher in einem der fünf Studioräum­e Tonmeister­in Dina Pohl und mischt den Ton passend zum Bild. Hapig ist gut im Geschäft. Die meisten seiner Aufträge kommen aus England, den Niederland­en und Belgien. „Da wird viel besser bezahlt als in Deutschlan­d.“Nicht zuletzt deshalb hat er seinen Firmensitz mittlerwei­le ins niederländ­ische Arnheim verlegt. „Hier in Flingern bilde ich in erster Linie aus“, sagt der 62-Jährige. Vier Tage dauert die Vertonung eines Tatorts. Ein Kinofilm könne schon einmal zehn Tage in Anspruch nehmen. „Wir arbeiten zehn bis 12 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“, lässt er wissen. Hapig ist wie viele, die zu den Besten ihrer Zunft gehören. Ein Liebender. Ein Besessener. Seit 25 Jahren leidet er an Schuppenfl­echte, weil die Studioarbe­it nun mal im Dunkeln stattfinde­t. Ans Aufhören denkt er trotzdem nicht. Er ist sich sicher: „Ich sterbe am Pult.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Sieht aus wie in einer nicht aufgeräumt­en Autowerkst­att – aber mit all diesen Dingen macht George F. Hapig Geräusche.

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