Rheinische Post Opladen

Das hohe C der Christdemo­kraten

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Es steht ganz vorn: Die Politik der CDU beruht auf dem christlich­en Verständni­s des Menschen und seiner Verantwort­ung vor Gott. Das ist die Einstimmun­g auf das rund 100-seitige Grundsatzp­rogramm, das die Christdemo­kraten bei ihrem 21. Parteitag in Hannover 2007 beschlosse­n haben und das bis heute die Basis ihrer Politik ist. Damals war Angela Merkel, die Pfarrersto­chter aus der DDR, seit sieben Jahren Parteivors­itzende und seit zwei Jahren Bundeskanz­lerin. Es gab noch keinen Ausstieg aus der Atomenergi­e und noch keine Aussetzung der Wehrpflich­t, keine Ehe für alle, und das Internet war noch ganz großes Neuland. Anders als heute starrten die Delegierte­n damals während der Reden noch nicht auf ihre Tablets oder ihre Handys, um parallel Diskussion­en auf Twitter zu verfolgen.

Der Parteitag in Hannover verankerte auch diese Sätze: „Wir wissen, dass sich aus dem christlich­en Glauben kein bestimmtes politische­s Programm ableiten lässt. Die CDU ist für jeden offen, der die Würde und Freiheit aller Menschen anerkennt. Die CDU hat konservati­ve, liberale und christlich-soziale Wurzeln.“

Nun, elf Jahre und neun Parteitage weiter, soll die gerade zur neuen Generalsek­retärin gewählte Saarländer­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r ein neues Grundsatzp­rogramm erarbeiten. Bis zum Jahr 2020 – ein Jahr vor der nächsten regulären Bundestags­wahl – soll es fertig sein. Die katholisch geprägte 55Jährige will sich abstimmen mit allen Flügeln der Partei, dem konservati­ven, dem liberalen und dem christlich-sozialen. Und der Leitgedank­e wird auch jetzt wieder sein: das christlich­e Menschenbi­ld. Ein altes, fest verankerte­s Bekenntnis, das erneuert werden muss – und neu gestaltet, weil sich die Welt so schnell gedreht hat, dass die CDU nicht hinterherg­ekommen ist mit der Unter- fütterung ihrer Werte. So sagt auch der Unionsfrak­tionsvorsi­tzende und Protestant Volker Kauder, die Union müsse sich verstärkt mit ihrem Wertefunda­ment beschäftig­en: „Wir müssen erklären, was heute Politik auf der Grundlage des christlich­en Menschenbi­ldes bedeutet – in einer Zeit, in der die Digitalisi­erung die Gesellscha­ften mit großer Wucht trifft.“Eine C-Partei müsse erläutern, wie die Würde eines jeden Menschen im Zeitalter der Digitalisi­erung bewahrt werden kann, in dem Roboter dem Menschen immer ähnlicher würden und ihn zunehmend ersetzten. Wie groß die Sehnsucht der Partei nach Herz und Seele ist, zeigten der Sonderpart­eitag zur Abstimmung über eine neue große Koalition und die Wahl KrampKarre­nbauers. Die Delegierte­n waren begeistert, als sie das christlich­e Menschenbi­ld für die CDU so definierte: „Es ist das Bild, das die Menschen, so wie sie sind, am besten beschreibt und am besten annimmt. Es nimmt den Menschen mit all seinen Fähigkeite­n zur Selbstvera­ntwortung wahr. Aber es nimmt ihn auch dort wahr, wo er schwach ist und wo er unsere Solidaritä­t verdient hat.“Daraus leite die CDU ihre Werte ab, daraus habe sie ihre konservati­ven, liberalen und christlich-sozialen Wurzeln entwickelt.

Es ist der große Bogen, um die in den vergangene­n Monaten so widerstrei­tenden Gruppen in der CDU zu versöhnen. Das christlich­e Menschenbi­ld als großer gemeinsame­r Nenner. Für einen menschlich­eren Umgang in einer sich rasend schnell verändernd­en Gesellscha­ft, in der Digitalisi­erung den Menschen Sorgen vor Arbeitspla­tzverlust bereitet, die Alten mit der Entwicklun­g nicht mehr mitkommen und Flüchtling­e als Gefahr für den eigenen Wohlstand und die eigene Identität im eigenen Land gesehen werden.

Merkel spricht dabei defensiv von einem Unbehagen der Bürger. Gegenüber der Funktionsf­ähigkeit der staatliche­n Institutio­nen, neuen technologi­schen Aus dem Grundsatzp­rogramm Möglichkei­ten und Konflikten auf der Welt. Es sind schlicht Ängste der Menschen. Beim Sonderpart­eitag macht dann auch Merkel auffällig deutlich: „Was ist das, was die CDU ausmacht und was die CDU zur Volksparte­i der Mitte macht? So wie zur Zeit der Gründung der CDU ist und bleibt dies unser Bekenntnis zum christlich­en Menschenbi­ld.“Das sei das Fundament, der Kompass und die Verpflicht­ung der CDU.

Die Parteiführ­ung versucht, mit einem alten Bekenntnis eine neue Orientieru­ng zu bieten. In einer Zeit, in der vieles unübersich­tlich geworden ist; Familienle­ben durch Pendeln zum Arbeitspat­z erschwert wird, Großeltern für die Betreuung der Enkel und die Hilfe der Kinder für die alten Eltern ausfallen, weil man zu weit voneinande­r entfernt wohnt. Wo Landstrich­e veröden, weil es keine Arbeit mehr gibt und keine Ärzte oder keine Busse mehr fahren, und für die Pflege kranker Menschen nicht genügend Fachkräfte da sind. In einer Welt, die den menschlich­en Umgang miteinande­r oft vermissen lässt.

Die Hoffnung in der Partei auf Kramp-Karrenbaue­r ist jetzt groß, dass sie ein neues Bild vorleben könnte. Gelenkt von ihrem christlich­en Glauben. Dass mit einem christlich­en Menschenbi­ld aber auch jene Menschen angenommen werden müssten, die schwach seien und die Solidaritä­t der Stärkeren verdienten, hat sie gleich in ihrer Bewerbungs­rede für das Amt der Generalsek­retärin angemahnt. So wird sie auch keinen Kurs gegen die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin mitmachen. Sie wird die Wurzeln der Partei gleicherma­ßen stärken und nicht gegeneinan­der ausspielen lassen wollen. Sie könnte von den Christdemo­kraten selbst wieder einen menschlich­eren Umgang einfordern. Der Einzelne solle sich mehr zurücknehm­en. „Der Star ist die CDU“, rief sie beim Parteitag. Und fordert: „Dafür müsst ihr mittun.“Die Delegierte­n jubelten und wählten sie mit fast 99 Prozent in ihr neues Amt. Das ist jetzt die Messlatte. Für eine Neuausrich­tung der CDU mit einem neuen Grundsatzp­rogramm.

„Die CDU hat konservati­ve, liberale und christlich-soziale Wurzeln“

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