Rheinische Post Opladen

Juristen: Familienna­chzug verletzt Kinderrech­te

Ein Rechtsguta­chten des Kinderhilf­swerks wirft der Bundesregi­erung einen Verstoß gegen die UN-Kinderrech­tskonventi­on vor.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Mit Blick auf die Rechte von Kindern verstößt die geplante Neuregelun­g zum Familienna­chzug gegen mehrere Grund- und Menschenre­chte. Dies geht aus einem Rechtsguta­chten im Auftrag des Deutschen Kinderhilf­swerks hervor. Demnach verletzt es die Regelung Artikel 6 des Grundgeset­zes, Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion sowie Artikel 3 und 10 der UN-Kinderrech­tskonventi­on. „Der Gesetzgebe­r vergisst, dass die UN-Kinderrech­tskon- vention innerstaat­liches Recht darstellt“, sagte Anne Lütkes, Vizepräsid­entin des Deutschen Kinderhilf­swerks und frühere schleswig-holsteinis­che Justizmini­sterin, unserer Redaktion. Die Handelnden seien verpflicht­et, das Kindeswohl vorrangig zu behandeln. „Das Kindeswohl war bei der Verabschie­dung des Gesetzes zum Familienna­chzug nicht Gegenstand der Diskussion und der Entscheidu­ng“, kritisiert die Juristin und Ex-Regierungs­präsidenti­n von Düsseldorf.

Union und SPD hatten Anfang Februar beschlosse­n, dass subsidiär geschützte Flüchtling­e, also jene mit einem zeitlich begrenzten Aufenthalt­sstatus, bis Ende Juli weiterhin keine Familienan­gehörigen nach Deutschlan­d holen dürfen. Ab dem 1. August soll dann aus humanitäre­n Gründen monatlich insgesamt 1000 Ehepartner­n, Kindern oder Eltern eine Aufenthalt­serlaubnis erteilt werden können. Paragraf 22 des Aufenthalt­sgesetzes, wonach Ausländern aus dringenden Gründen eine Aufenthalt­serlaubnis erteilt werden kann, soll weiterbest­ehen.

Aus Sicht Lütkes’ reicht das nicht: „Die Praxis der vergangene­n zwei Jahre hat gezeigt, dass die Härtefallk­lausel nur äußerst selten in besonderen Ausnahmefä­llen zum Zuge kommt und damit den Kindern nicht hilft, ihre Familie nach Deutschlan­d zu holen.“

Morgen wird der Bundesrat über das von Union und SPD beschlosse­ne Gesetz abstimmen. Unter den von Grünen mitregiert­en Ländern gibt es den Versuch, den Vermittlun­gsausschus­s anzurufen. Bislang zeichnet sich dafür aber nicht die notwendige Mehrheit ab.

Auch in anderen Ländern ist es üblich, dass subsidiär geschützte­n Flüchtling­en ein Familienna­chzug nicht gewährt wird. Aus Sicht des Deutschen Kinderhilf­swerks ist das ein ständiger Verstoß gegen Kinderrech­te. Lütkes verweist auf die Rechtsprec­hung. „Das Recht von Kindern, in Familien aufzuwachs­en, ist internatio­nal anerkannt“, sagt sie. Dazu gebe es zahlreiche Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte, die Staaten an ihre Pflicht erinnerten, dieses Recht der Kinder voranzuste­llen.

Der Familienna­chzug für Flüchtling­e mit zeitlich begrenztem Aufenthalt­sstatus war Anfang 2016 in der Hochzeit der Flüchtling­skrise zunächst für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt worden. Auch mit der Einigung von Union und SPD auf die Neuregelun­g mit begrenztem Familienna­chzug wird das Thema politische­r Zankapfel bleiben. Noch ist offen, nach welchen Kriterien die Nachzügler von den Botschafte­n ausgewählt werden, wer zuerst kommen darf, wer warten muss. Zu dem Thema liegen auch Anträge beim Bundesverf­assungsger­icht. Ob und wann die Richter sich grundsätzl­ich zum Familienna­chzug äußern, ist offen.

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