Rheinische Post Opladen

Michel Barnier empört London mit Fahrplan zu Brexit

Die Nordirland-Frage wird zum gordischen Knoten bei den Brexit-Verhandlun­gen. Der Vorschlag der EU bedrohe den Zusammenha­lt des Vereinigte­n Königreich­s, fürchtet die britische Regierung.

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BRÜSSEL/LONDON (dpa) Mit dem ersten Entwurf eines Brexit-Vertrags hat die Europäisch­e Union gestern heftigen Widerspruc­h in Großbritan­nien ausgelöst. Premiermin­isterin Theresa May erteilte den Passagen zur Vermeidung von Grenzkontr­ollen auf der irischen Insel eine glatte Absage. Diese stellten die verfassung­smäßige Integrität ihres Landes infrage, sagte May in London: „Kein britischer Premiermin­ister könnte dem je zustimmen.“

Damit bauen sich neue Hürden für die schwierige­n Verhandlun­gen über den für 2019 geplanten britischen EU-Austritt auf. Dabei wächst aus Sicht der EU der Zeitdruck für ein geordnetes Verfahren. „Das ist ein Schlüsselm­oment der Verhandlun­gen“, sagte Chefunterh­ändler Theresa May Michel Barnier. „Wenn wir Erfolg haben wollen bei diesen Verhandlun­gen, dann müssen wir uns beeilen.“

Der gestern veröffentl­ichte Vertragsen­twurf sei lediglich eine getreue juristisch­e Umsetzung der Grundsatzv­ereinbarun­g mit London vom Dezember, beteuerte Barnier. Damals hatten beide Seiten drei wichtige Punkte ausgehande­lt: die künftigen Rechte von Millionen EU-Bürgern in Großbritan­nien, die Schlusszah­lung von London an Brüssel und eben die Vermeidung von Grenzkontr­ollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem künftigen Nicht-EU-Mitglied Nordirland.

Für Irland und die EU ist die Grenzfrage besonders wichtig, weil eine sichtbare Teilung der Insel den explosiven Konflikt zwischen Katholiken und Protestant­en wieder aufleben lassen könnte. Um dies zu vermeiden, waren drei Optionen vereinbart worden: ein Handelsabk­ommen, innovative andere Lösungen auf Vorschlag Großbritan­niens oder, für den Notfall, eine Beibehaltu­ng wichtiger Regeln des EU-Binnenmark­ts und der EU-Zollunion in Nordirland. Im Entwurf steht nun der Begriff „gemeinsame­s regulatori­sches Gebiet“.

Ein großes Problem ist dies für Großbritan­nien, weil die Regierung um Theresa May das ganze Land aus Binnenmark­t und Zollunion herausführ­en will. Würden EU-Regeln in Nordirland weiter gelten und im übrigen Großbritan­nien nicht, wären unterschie­dliche Standards innerhalb des Vereinigte­n Königreich­s die Folge, also eine interne Grenze. Das lehnt die nordirisch­e DUP strikt ab, die die britische Regierung derzeit im Parlament mit stützt.

Und dem widersprac­h auch Regierungs­chefin Theresa May gestern im britischen Parlament heftig: „Der veröffentl­ichte Entwurfste­xt würde, wenn umgesetzt, den Binnenmark­t Großbritan­niens bedrohen, in dem er eine zollrechtl­iche und regulatori­sche Grenze in der Irischen See schaffen würde“, sagte sie. Das sei inakzeptab­el.

Die EU sei in der Pflicht, eine kreative Lösung vorzuschla­gen, sagte Barnier. Sollte es eine andere Lösung geben, werde die Notfallopt­ion mit der Übernahme von EU-Regeln in Nordirland einfach gestrichen. Alle Positionen im Entwurf seien in London längst bekannt. „Es gibt keine Überraschu­ng für unsere britischen Partner“, sagte Barnier.

Neben der EU-Umsetzung der Dezember-Vereinbaru­ng enthält das rund 120-seitige Dokument auch Passagen, die noch nicht mit Großbritan­nien ausgehande­lt sind. Dazu zählt die EU-Position über die anvisierte etwa zweijährig­e Übergangsp­hase nach dem Brexit, die den historisch­en Bruch für Wirtschaft und Bürger abfedern soll.

Brüssel will, dass in dieser Zeit alle EU-Regeln für Großbritan­nien weiter gelten und das Land auch Beiträge zahlt. London möchte aber nach Barniers Worten zumindest in einem Punkt abweichen: EU-Bürger, die nach dem Austrittsd­atum 29. März 2019 nach Großbritan­nien ziehen, sollen weniger Rechte haben als jene, die schon vorher kamen. Die EU lehnt dies ab. „Das ist für uns ein großes Thema“, sagte Michel Barnier. Die Streitpunk­te müssten ausgeräumt werden. „Im Moment ist die Übergangsp­hase noch keine beschlosse­ne Sache.“

Die Europäisch­e Union will Austritts- und Übergangsf­ragen möglichst bis Ende März klären und laut Barnier ab April über die künftigen Beziehunge­n verhandeln. Die britische Position will May am Freitag erläutern.

„Der Entwurfste­xt bedroht die verfassung­smäßige Integrität des Königreich­s“ Premiermin­isterin Großbritan­nien

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FOTO: AP Der Chefunterh­ändler der EU, Michel Barnier, stellte gestern seinen Entwurf für den Brexit im kommenden Jahr vor.

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