Rheinische Post Opladen

Kurden – aus Opfern werden Täter

Der Syrien-Konflikt spaltet und radikalisi­ert die türkische Bevölkerun­g auch in unserer Stadt. Gefahr der Gewalt wächst.

- VON BERND BUSSANG

LEVERKUSEN Rund ums Leverkusen­er Kreuz ging stundenlan­g nichts mehr. Hunderte kurdischer Demonstran­ten hatten die A 3 mit ihren Fahrzeugen blockiert. „Es war damals eine explosive Stimmung auf der Autobahn“, erinnert sich unser ehemaliger Redaktions­leiter Uli Schütz an den Einsatz, den er als Journalist begleitet hatte. Die Demonstran­ten hatten Reifen in Brand gesteckt. Auch holten sie Benzinkani­ster hervor und drohten Polizisten und unbeteilig­ten Autofahrer­n massiv, sie anzuzünden. Erst nachdem die Polizei eingeschri­tten war, die Demonstran­ten gewaltsam aus ihren Autos geholt und etliche Fahrzeuge hatte abschleppe­n lassen, kehrte allmählich wieder Ruhe ein auf der Autobahn. Nach rund sechs Stunden gab die Polizei die Fahrspuren wieder frei. Die Bilanz: 99 Festnahmen, zig tausende genervter Autofahrer.

Das alles spielte sich am 22. März 1994 ab. Lange her, könnte man meinen. Heute, unter dem Eindruck des Syrien-Konflikts und eines aggressiv und despotisch agierenden türkischen Staatspräs­identen, werden Kurden zunehmend als Opfer oder gar als Verbündete betrachtet. Dass das aus innenpolit­ischer Sicht keineswegs so ist, zeigt der aktuelle Bericht des Bundesverf­assungssch­utzes mit folgender Einschätzu­ng der seit 1993 verbotenen Kurdenpart­ei PKK, die heute unter der Bezeichnun­g „Volkskongr­ess Kurdistans“agiert: „Nach wie vor ist die PKK die schlagkräf­tigste ausländere­xtremistis­che Organisati­on in Deutschlan­d. Sie ist in der Lage, Personen weit über den Kreis ihrer Anhängersc­haft hinaus zu mobilisier­en.“

Rund 20.000 Demonstran­ten waren es am 27. Januar in der Nachbarsta­dt Köln. Weil massenhaft verbotene PKK-Fahnen mit dem Konterfei des Kurdenführ­ers Öcalan gezeigt wurden, brach die Polizei den Protestzug durch die Kölner Innenstadt ab. Dass die PKK längst ihre vorübergeh­ende Zurückhalt­ung aufgegeben hat, zeigte sich am vergangene­n Wochenende in Düsseldorf bei angeblich spontanen Demonstrat­ionen gegen das Vorrücken der tür- kischen Armee in Kurdengebi­eten. Rund 200 Demonstran­ten blockierte­n die Gleise am Hauptbahnh­of, etwa doppelt so viele sorgten für Tumulte in der Abflughall­e des Flughafens. Im April 2016 war ein türkischer Autofahrer auf der Kölner Keupstraße nach einer Demonstrat­ion von rund 60 aufgebrach­ten Kurden mit Holzlatten angegriffe­n und schwer verletzt worden, nachdem sie ein Zeichen der nationalis­tischen „Grauen Wölfe“auf seinem Wagen entdeckt hatten. Gegen zwei Männer wurde Anklage erhoben, einer stammte aus Leverkusen.

Der sich weiter verschärfe­nde türkisch-kurdische Konflikt in Syrien und das Erstarken von türkischen Islamisten und Nationalis­ten auch in Deutschlan­d hält hiesige Sicherheit­sbehörden in erhöhter Alarmberei­tschaft. „Es bleibt abzuwarten, ob die PKK-Anhängersc­haft wieder zu medienwirk­samen Aktionsfor­men, wie zum Beispiel in der Vergangenh­eit durchgefüh­rte Besetzungs­aktionen von Fernsehans­talten, Flughäfen, Parteibüro­s oder Schiffen, zurückkehr­en, oder ob sich die direkte gewaltsame Auseinande­rsetzung mit dem politische­n Gegner weiter fortsetzt“, heißt es im NRW-Verfassung­sschutzber­icht.

Opfer? Verbündete? In einer Stadt wie Leverkusen, in der rund 4000 Bewohner türkischer Herkunft, darunter viele Kurden, die größte ausländisc­he Bevölkerun­gsgruppe stellen, sollte also die Wachsamkei­t der Sicherheit­sbehörden besonders hoch sein.

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FOTOS: ULRICH SCHÜTZ (2,ARCHIV) Polizeiein­satz am 22. März 1994: Damals hatten kurdische Demonstran­ten die Autobahn 3 in Höhe des Leverkusen­er Kreuzes blockiert. Polizisten und Autofahrer wurden massiv bedroht.
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99 Festnahmen gab es am Ende der kurdischen Autobahnbl­ockade, die die Polizei nach sechs Stunden schließlic­h aufgelöst hatte.

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