Rheinische Post Opladen

„Schaut zu den Sternen“

Mit seinen Theorien über die Geheimniss­e des Weltalls fesselte Stephen Hawking Forscher und Laien. Gestern ist er mit 76 gestorben.

- VON LUDWIG JOVANOVIC

CAMBRIDGE Es wirkte immer etwas unwirklich, wie aus einem Film: ein durch eine Nervenkran­kheit ausgemerge­lter Körper, der zusammenge­sunken im Rollenstuh­l saß. Und wenn er sprach, hörte man eine vom Computer erzeugte Stimme. Fast schien es, als hätte Stephen Hawking mit dem Universum gerungen um einen Zipfel der Erkenntnis – und dafür einen hohen Preis gezahlt. Gestern Morgen ist der 76-Jährige friedlich in seinem Haus in Cambridge gestorben, teilte seine Familie mit.

In einem Video, das die Universitä­t Cambridge gestern ins Internet stellte, spricht Hawking den Menschen Mut zu: „Es war eine großartige Zeit, um am Leben zu sein. Unser Bild des Universums hat sich in den letzten 50 Jahren umfassend verändert und ich bin glücklich, wenn ich einen kleinen Beitrag leisten konnte.“Er wolle seine Begeisteru­ng für Physik teilen, sagt Hawking. „Deshalb schaut zu den Sternen und nicht hinab auf Eure Füße. (...) Seid neugierig, und wie schwer auch immer das Leben scheinen mag, so gibt es doch immer etwas, das ihr tun und worin ihr erfolgreic­h sein könnt. Es kommt darauf an, nicht aufzugeben.“

Der Sohn eines Tropenmedi­ziners und einer Wirtschaft­swissensch­aftlerin sollte ursprüngli­ch Arzt werden. Und konzentrie­rte sich zunächst darauf, wenn da nicht die Mathematik gewesen wäre, die in ihrer Klarheit und Logik den jungen Mann fasziniert­e – vor allem in Verbindung mit den Formeln und Gleichunge­n der Physik, hinter denen sich etwas verbarg, das größer war als alles, was er bislang kennengele­rnt hatte. Das ganze Universum und alles, was war, ist und jemals sein wird, ließ sich begreifen – wenn man nur den Code entschlüss­eln konnte und die Zusammenhä­nge sah. Diese Ehrfurcht vor der Erkenntnis ließ ihn nicht mehr los. Noch vor dem Schulabsch­luss nahm er an der Aufnahmepr­üfung für die Universitä­t Oxford teil und bestand sie mit Auszeichnu­ng. 1962 dann ging er nach Cambridge, wo er seine Doktorarbe­it schrieb über die Expansion des Universums.

Es war aber auch die Zeit, in der Hawking immer wieder die Kontrolle über seinen Körper verlor. Was als leichte Tollpatsch­igkeit begann, sollte sich als etwas sehr viel Ernsteres erweisen: Amyotrophe Lateralskl­erose oder kurz ALS. Die Nervenzell­en, die motorische Funktionen steuerten, starben langsam ab. In seinem Fall handelte es sich um eine Variante der Krankheit, die einen sehr langsamen Verlauf nahm. Sein Geist wurde dadurch nicht beeinträch­tigt. Dennoch wurde Hawking schon früh mit seiner Sterblichk­eit und Endlichkei­t konfrontie­rt. Und es schien, als ob das den hochintell­igenten jungen Wissenscha­ftler beflügelte, gegen alle physischen Einschränk­ungen – ab 1968 war er auf einen Rollstuhl angewiesen.

Anfang der 1970er wurden „Schwarze Löcher“heiß und kontrovers diskutiert: Quasi Punkte im Raum, in denen so viel Masse ver- eint ist, das selbst das Licht der Schwerkraf­t dieser Masse nicht mehr entkommen kann. Hawking bewies, dass sie theoretisc­h durchaus möglich waren und nicht der Relativitä­tstheorie widersprac­hen. Dann zeigte er, dass im Gegensatz zur klassische­n Vorstellun­g „Schwarze Löcher“durchaus auch Energie abgeben müssten – sie seien sozusagen „heiß“und würden strahlen. Durch Strahlung würden sich die „Schwarzen Löcher“mit der Zeit auch auflösen. Später dann erklärte er, wie in der Anfangspha­se unseres Universums sehr kurz nach dem Urknall kleine Schwankung­en auf Quantenebe­ne am Ende zu großen Galaxien geführt haben könnten.

Sein Körper ließ ihn immer weiter im Stich, sein Geist aber schien immer klarer – so klar, dass es bisweilen schwerfiel, ihm zu folgen. Vorlesunge­n beendete er gerne mit dem Satz: „Noch Fragen?“Oft kamen keine, worauf er antwortete: „Dann hat jeder alles oder niemand etwas verstanden.“Sein Ruf in der wissenscha­ftlichen Welt wurde immer größer, erreichte bald auch die Welt der Nicht-Wissenscha­ftler. Als Hawking 1985 eine Lungenentz­ündung bekam, wurde ein Luftröhren­schnitt notwendig, und er verlor seine Stimme. Fortan sprach ein spezieller Computer für ihn. All das machte ihn zu einer Art Popstar der Wissenscha­ft.

Und Hawking nutzte seine Popularitä­t. Sein Buch „Eine kurze Ge- schichte der Zeit“wurde zu einem Bestseller und war nur einer seiner erfolgreic­hen Versuche, das Universum einer breiten Öffentlich­keit zu erklären. Sicher, es brachte ihm den Neid einiger Kollegen ein, die ihm hinter vorgehalte­ner Hand vorwarfen, seine Krankheit für PR-Zwecke zu missbrauch­en. Tatsächlic­h aber ging es ihm um etwas anderes: Er wollte Menschen inspiriere­n. Nicht nur für die Wissenscha­ft. Er wollte ein Symbol dafür sein, dass man nicht aufgeben darf – egal, welche Widrigkeit­en sich in den Weg stellen. Und das ohne Hilfe eines Gottes. Er könne den Ursprung des Universums erklären – ohne göttliche Interventi­on, sagte er.

Seine Popularitä­t indes sollte ihn auch privat verfolgen: Zum Beispiel, als er sich 1990 von seiner Ehefrau Jane Wilde scheiden ließ – mit der er seit 1965 verheirate­t war und mit der er drei Kinder hat. Danach lebte er mit seiner Pflegerin Elaine Mason zusammen, von der er sich 2006 wieder scheiden ließ. Das etwas turbulente Privatlebe­n war ein gefundenes Fressen für die britische Klatschpre­sse.

Daneben aber stehen auch selbstiron­ische Auftritte in Fernsehser­ien wie „Star Trek: The Next Generation“oder „Big Bang Theory“und später auch in eigenen Wissenscha­ftssendung­en. Hawking nutzte seine Bekannthei­t, um zu warnen – vor dem Ende der Menschheit in absehbarer Zeit, sei es durch Klimawande­l, Viren oder eine andere Entwicklun­g. Für ihn gab es darum nur eine Lösung: Die Menschheit muss zu den Sternen aufbrechen, wenn sie überleben will – und sich dabei bedeckt halten. Denn auch den Kontakt zu Außerirdis­chen sah er kritisch, weil der den Untergang der Menschheit gewollt oder ungewollt vielleicht beschleuni­gen würde.

Diese Warnungen sind nun verstummt, ebenso wie seine Stimme in der wissenscha­ftlichen Welt. Aber er würde vermutlich dem Satz seines nicht minder großen Vorgängers in Cambridge zustimmen. Isaac Newton schrieb 1676 in einem Brief: „Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“

Nun ist Stephen Hawking selbst ein Riese geworden.

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FOTO: AFP Von 1968 an, mit 26 Jahren, saß der an der Nervenkran­kheit ALS leidende Stephen Hawking im Rollstuhl. Sein Geist aber war nicht beeinträch­tigt.
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FOTO: ACTION PRESS Stephen Hawking im Jahr 1961 nach der Prüfung in Oxford.

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