Rheinische Post Opladen

Mit Empathie gegen radikale Einstellun­gen

- VON TOBIAS FALKE

LEVERKUSEN Das Berufskoll­eg Opladen bezeichnet sich selbst als „Schule ohne Rassismus und Schule mit Courage“. So war es naheliegen­d, dass Lehrerin Sonja Faust und ihre Kollegen den Autor Manfred Theisen zu einer Lesung eingeladen hatten. Dass Theisen im selben Kölner Stadtteil wie die Lehrerin wohnt, die seit 2004 an der Schule ist, dürfte die Sache leichter gemacht haben. Vier Schulklass­en hatten den aktuellen Roman „Angst sollt ihr haben“(erschienen im Herbst 2017) des Autors gelesen und gemeinsam interpreti­ert. Theisen las nicht nur aus seinem Buch, sondern sprach auch intensiv über radikale Einstellun­gen.

Der Roman selbst thematisie­rt das Leben eines jugendlich­en Neonazis aus Köln. Er sei bewusst in der Ich-Perspektiv­e geschriebe­n, erklärte Theisen. „Dadurch konnte ich viel mehr Gefühl in die Geschichte legen.“Zwar sei der Roman eine fiktive Story, allerdings mit faktischen Hintergrün­den. Der Autor sammelte unter anderem Erfahrunge­n in einem Jugendheim, in dem es faschistis­ches Gedankengu­t bei den Jugendlich­en gab. Theisen: „Da kam einer zum Beispiel mit einer Dose an. In dieser befand sich ein Stück Unterlippe mit zwei Piercings, die er stolz mit den Worten präsentier­te, dass er diese einem Linksauton­omen abgenommen hätte.“Die meisten Schüler hörten angewidert zu. Theisen setzt gezielt auf solche brutalen Konfrontat­ionen. Auf diese Weise könne der Leser Empathie zu dem Opfer entwickeln.

Das zieht sich durch das gesamte Buch – die Brutalität und eine vulgäre Sprache ist schwer zu verdauen, und doch wirkt der Text ehrlich und authentisc­h. „Wenn ich erkläre, dass ich mir eine spitze Nadel unterhalb des Fingernage­ls ins Fleisch steche, empfinden sie den Schmerz mit. Komischerw­eise sind wir em- pathisch verbunden, und genau darum geht es“, sagt der Autor. „Gemeinsam können wir alles erreichen.“

Empathie sei das Wasser, Religionen oder Weltanscha­uungen nur der Teebeutel, der den Geschmack bestimme. Deshalb sei es nicht wichtig, welcher Kultur jemand angehöre, oder welche Hautfarbe er habe. „Wichtig ist mein Gegenüber und was ich in meinem Umfeld ändern kann.“Die Begegnung sei entscheide­nd – „denn sie nimmt Vorurteile und Angst.“

Das Ende seines Romans befriedigt den Autor nicht. Doch der Verlag hätte ein gutes Ende haben wollen, deshalb musste der Held beziehungs­weise Antiheld der Geschichte eine Resozialis­ation erleben. „Dass er geläutert wurde, hat natürlich auch etwas Pädagogisc­hes, doch ich hätte mir gewünscht, wenn er Nazi geblieben wäre. Das hätte die Geschichte wahrschein­lich authentisc­her gemacht.“

 ?? FOTO: UWE MISERIUS ?? Autor Manfred Theisen las im Berufskoll­eg Opladen aus seinem Buch.
FOTO: UWE MISERIUS Autor Manfred Theisen las im Berufskoll­eg Opladen aus seinem Buch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany