Rheinische Post Opladen

Warum Deutschlan­d nicht nur eine, sondern gleich so viele Meisen hat

- VON TOBIAS FALKE

OPLADEN Ist das noch Kabarett, oder was will uns Philipp Simon eigentlich mit seinem Programm „Meisenhors­t“im Scala-Club sagen? Mit langen Monologen hat der Zuhörer das Gefühl, dass es schon lange in Philipp Simon brummt. Er scheint verzweifel­t zu sein. Die Realität bringt bei ihm genauso viel Entsetzen hervor wie ein makabrer Witz. „Der Meisenhors­t ist der einzige Horst, der in Deutschlan­d keine Obergrenze kennt“, beginnt sein Programm.

Und so stellt er in Folge die einzelnen Meisen vor: die Kohlmeisen, die Angela Merkel als Reinkarnat­ion von Helmut Kohl halten; vereinzelt­e Trauermeis­en – die letzten SPDWähler; Blaumeisen, die die AfD wählen und dabei nicht merken würden, dass sie sich selbst die Flügel stutzen oder auch A-Meisen, die das Gefühl haben, sie gehören nicht dazu.

Das Publikum ahnt zu Beginn des Abends schon, in welche Richtung es geht: Politik. Dabei sind die Sorgen des Bürgers Philipp Simon nicht nur politisch, sondern eher philosophi­sch zu verstehen. Durch einen geschichtl­ichen Exkurs lässt er seine Zuhörer hinterfrag­en, ob der Mensch überhaupt dazulerne und wie verrückt Wahnsinn überhaupt ist. Besonders das Grundgeset­z zum Schutze der Freiheit des Bürgers steht im Fokus seines Programms. Artikel 7, der sich um das Schulwesen kümmern würde, solle sich doch lieber auf das Schul-Verwesen konzentrie­ren: „Schulen sehen von außen so aus, wie sich Lehrer innerlich fühlen“, fasst er zusammen. Die Meinungsfr­eiheit, die in Artikel 5 geregelt sei, würde von politische­n Parteien wie die AfD als Deckmantel ausgenutzt, um durch den Motor Hass mit Sprache und Rhetorik die Gesellscha­ft zu spalten. Artikel 10, das Brief- Post- und Fernmeldeg­eheimnis, sei in Zeiten von Facebook, Google, Whatsapp und den Nachrichte­ndiensten sowieso nicht mehr aktuell. Die Vorratsdat­enspeicher­ung stehe im krassen Gegensatz zur Sicherung der Privatsphä­re. Immerhin sei Artikel 12 mit dem Recht, seinen Beruf frei zu wählen, noch aktuell. Das sehe man ja an den vielen Bürgern, die vier Minijobs ausüben würden, um erst in der Mitte des Monats die Tafel aufzusuche­n. Da sei Christian Lindners Aussage „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“eine Schmach für alle Krankenpfl­egerinnen und - pfleger, die unter katastroph­alen Bedingunge­n auch nicht einfach das Handwerk schmeißen könnten.

Philipp Simon gelang es, den Besucher zum Nachdenken anzuregen und auch mal die Perspektiv­e zu wechseln. „Wir sind das Grundgeset­z“, lautet sein Fazit, „wir sind Umweltschü­tzer und Dieselfahr­er. Wir sind Flüchtling­sfreund und Realitätsv­erdränger. Wir sind Humanisten und handeln doch nicht menschlich. Wir haben immer eine Meinung aber immer seltener eine Haltung – ein Widerspruc­h der sich selbst nicht erträgt. Wir sind der Meisenhors­t.“

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FOTO: MOLL (ARCHIV) In seinem Programm in Philipp Simon als politische­r Vogelkundl­er unterwegs und bestimmt treffsiche­r die verschiede­nen Arten.

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