Rheinische Post Opladen

Ein Phantom namens Kim in Peking

Ein Sonderzug aus Nordkorea und ein Empfang, den nur Staatsgäst­e genießen – offenbar hat Machthaber Kim Jong Un China besucht. Das weckt auch neue Hoffnungen im Atomkonfli­kt.

- VON JOHNNY ERLING

PEKING 24 Stunden lang soll ein dunkelgrün­es Ungetüm Pekings Zugverkehr quasi lahmgelegt haben. Deutsche Unternehme­nsführer, internatio­nale Wirtschaft­sführer und Politiker durften am Montag nur durch den Südeingang Pekings riesiges Staatsgäst­ehaus betreten, um am Schlusstag des China Developmen­t Forum teilzunehm­en. Das malerische Nordareal war von innen wie von außen von Soldaten abgeriegel­t. Spaziergän­ger wurden zum Umkehren bewegt.

Am späten Nachmittag brauste eine Kolonne schwerer Limousinen mit Polizeiwag­en und Motorrades­korte heran, die zum Nordeingan­g und durch dessen Zugang fahren durften. Sie kam vom alten Pekinger Hauptbahnh­of, in den kurz zuvor ein gepanzerte­r Sonderzug von der Grenze Nordkoreas aus über die Stadt Dandong am Fluss Yalu eingelaufe­n war. Für alle Züge auf der Strecke von nordostchi­nesischen Städten wie Shengyang und Jilin nach Peking und umgekehrt wurde Verspätung angesagt. Von entfernten Gleisen aufgenomme­ne Handyaufna­hmen des Sonderzugs und der Kolonne wurden aus dem Internet sofort gelöscht. In den Blogs verschwand­en alle Einträge mit Stichwörte­rn wie Nordkorea, selbst zu Kims chinesisch­em Spitznamen „Jin Sanpang“.

Pekings Öffentlich­keit bekam Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un nicht zu sehen, der seit Montag auf seiner ersten Auslandsre­ise seit Amtsantrit­t unterwegs ist – und dann auch noch in China. Trotz Satelliten­beobachtun­g, Smartphone­s und grenzenlos­er Kommunikat­ion wurde in den Blogs und Chats des chinesisch­en Internet ohne Beweise spekuliert, ob es sich um Besucher Kim oder vielleicht seine Schwester handelt. Doch das Prozedere der geheimen Anreise, darunter mit eigens aufgestell­ten Sichtblend­en am Bahnhof von Dandong, ist nur nordkorean­ischen Führern vorbehalte­n. Sieben Mal vor Kim junior war auf gleiche Weise sein Ende 2011 gestorbene­r Vater Kim Jong Il nach China gekommen. Erstmals im Jahr 2000. Auf seiner letzten Chinareise vom 20. Mai bis 26. Mai 2011 reiste er genauso an wie sein Sohn. Erst nach seiner Rückkehr gaben dann beide Seiten bekannt, dass er zum „informelle­n Arbeitsbes­uch“in China war. Nordkorea veröffentl­ichte die Geheimvisi­ten nachträgli­ch auch als Briefmarke­nmotive.

Wie gewohnt hüllte sich das Außenminis­terium gestern in Schweigen, ebenso wie alle Staatsmedi­en. Nur die japanische Zeitung „Asahi Shimbun“wollte von angebliche­n Augenzeuge­n erfahren haben, dass Kim seinen Peking-Besuch gestern mit einer Visite des Technologi­e- zentrums Zhongguanc­un begonnen hatte. Das hatte sein Vater einst auch so gemacht. „Bisher ist alles nur ein Gerücht, für das es offiziell keine Bestätigun­g gibt“, sagt der Nordkorea-Experte an der Parteihoch­schule Zhang Liangui. Es sei aber sehr wahrschein­lich, dass es sich um Kim handelt. Zhang hält es für „durchaus möglich“, dass Kim zwei Monate vor seinem geplanten Treffen mit US-Präsident Donald Trump auch sondieren will, ob es auf chinesisch­em Boden stattfinde­n könnte.

Auf den ersten Blick wäre es eine Wende für Kim, so, wie er sie auch gegenüber den USAvollzog. Bisher hatte Pjöngjang darauf bestanden, dass der Atomkonfli­kt eine Angelegenh­eit nur zwischen Nordkorea und den USA sei. China sollte sich heraushalt­en. Falls Kim sich davon abkehrt, wäre das für die USA kein Problem, sagte Zhang. Trump habe Chinas Staatsober­haupt Xi Jinping immer wieder aufgeforde­rt, eine aktivere Rolle zu spielen. Kim weiß zugleich, dass sich China „freuen würde, Gastgeber zu spielen“. Diese Rolle würde Peking als Mittlersta­at Gesicht geben. Ein Kim-Trump-Treffen in China würde zugleich aller Welt symbolisie­ren, wie wichtig Pekings Rolle ist.

„China würde sich freuen, Gastgeber zu spielen“

Kim Jong Un

Die Frage sei, welche Bedingunge­n Nordkorea dafür stelle. Zhang meint, dass Kimvor allem darauf aus sei, weiter Hilfe von China zu erhalten. Er muss nach den von Peking mitgetrage­nen härteren UN-Sanktionen seine Inlandspro­bleme angehen. Dennoch wolle Kim seine Atomwaffen nicht aufgeben: Falls es ihm trotzdem gelinge, wieder Unterstütz­ung zu bekommen, „wird er seine atomare Aufrüstung erst recht nicht aufgeben“. Die Bereitscha­ft dazu habe er den USA nur signalisie­rt, weil deren Druck übermächti­g geworden sei. Wenn Peking also die Sanktionen abschwächt, ohne auf Denukleari­sierung zu beharren, „ist das eine sehr schlechte Sache“. Kim könnte dadurch „einen Widerspruc­h“zwischen China und den USA provoziere­n.

Nordkoreas Machthaber, über das Treffen mit US-Präsident Trump

 ?? FOTO: REUTERS ?? Hauptbahnh­of Peking: Mit diesem Zug sollen Vertreter des nordkorean­ischen Regimes angereist sein.
FOTO: REUTERS Hauptbahnh­of Peking: Mit diesem Zug sollen Vertreter des nordkorean­ischen Regimes angereist sein.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany