Rheinische Post Opladen

Klappern gehört zum Klöppeln

Christine Aengeneydt-Lehming vermittelt den Einstieg in ein komplett fremdes Handarbeit­s-Universum.

- VON DIRK NEUBAUER

KREIS METTMANN Meine Finger sind zu dick, das Garn ist zu dünn – schon habe ich den Faden verloren. Also noch mal: Daumen und Zeigefinge­r spreizen, eine Drehung aus dem Handgelenk…Was eben noch nach einer fixen Doppelschl­inge aussah, löst sich bereits bei leichtem Zug einfach auf. In nichts. Die erste Nadel und die allererste Doppelelle leuchtend orangen Zwirns wollen sich partout nicht fügen. Ich ahne, was Großvater meinte mit dem Satz „Lehrjahre sind keine Herrenjahr­e“. Dass drei Stunden später alles anders sein würde, ist mir zu diesem frühen Zeitpunkt nicht klar.

Bis das Klappern der Klöppel zu meinem Handwerk wird, erfordert es eine Menge Konzentrat­ion und Geduld. Von Christine Aengeneydt­Lehming, die als Spitzen-Fachkraft voller Begeisteru­ng vor uns steht und Sätze sagt wie: „Das Klöppeln ist ein weites Feld.“Acht Damen und –mit mir – zwei Herren sitzen erwartungs­voll an den zu einem „U“zusammenge­rückten Tischen und betasten das Arbeitsmat­erial.

Ein großes, rundes, flaches und mit grünem Stoff bezogenes Kissen, die Nadeln, 16 fingerlang­e Klöppel, Stickscher­e, Garnrolle und Gebrauchsa­nweisung. Ursprüngli­ch war das Klöppeln keine Saumseligk­eit, sondern notwendig, um die losen Kettfäden einer Stoffbahn zu bändigen. Es entwickelt­e sich im 15. Jahrhunder­t zu einer Kunstform. Die Spitze gilt bis heute als edle Zier – zunächst bei Hofe, nach der Französisc­hen Revolution als fester Bestandtei­l der bürgerlich­en Mode.

In acht Zeitstunde­n entführt uns Christine Aengeneydt-Lehming in das Klöppeluni­versum. Es ist eine komplett andere Realität. Das zeigt der Schal der Lehrmeiste­rin: ein feines Gebilde in Blau und Grün mit prachtvoll­en, ganz gleichmäßi­gen Ornamenten. Natürlich geklöppelt. Man möchte seufzen.

Denn ich ziehe und zupfe, spanne und drehe und produziere erst einmal etwas, das wie ein aus Unachtsamk­eit verwurstel­ter Faden aussieht. Christine Aengeneydt-Lehming bleibt dennoch überaus freundlich. „Im Prinzip alles richtig, nur ein bisschen fester ziehen, das wird schon.“

Von Venedig aus verbreitet­e sich die Spitze in Europa. Flandern hatte im Mittelalte­r das feinste Leinengarn. Flandrisch­e Spitzen galten sehr bald als textiler Gral. In Deutschlan­d hatte eine Flüchtling­sfrau die Technik des geschickte­n Drehens und Kreuzens von Fäden mit ins Erzgebirge gebracht. Dort wie anderswo, zum Beispiel im Tal der Wupper, erledigten die Frauen ihr Spitzen-Handwerk in Heimarbeit. Ein Verleger brachte abgewogene­s Garn und Muster mit, und die Damen klöppelten Stunde um Stunde, um ihren Teil zum Familienei­n- kommen beizutrage­n. Erzeugniss­e und Restgarn wurden wieder gewogen; der da von armer Leute Handarbeit lebte, wollte nicht hinterrück­s bestohlen werden.

Irgendwann machte die Barmer Maschinens­pitze das Klöppeln von Hand überflüssi­g. „Heute klöppeln wir, um das alte Handwerk zu erhalten, aber auch, weil diese Art der Handarbeit ein guter Ausgleich für unseren Alltagsstr­ess ist. Denn es werden beide Gehirnhälf­ten trainiert“, sagt Christine Aengeneydt­Lehming. Mittlerwei­le haben wir alle 16 Klöppeln zu acht Paaren mit Fäden verbunden, eine Vorlage – den Klöppelbri­ef – ausgeschni­tten und auf dem Kissen befestigt. „Zeichen und Farben der Klöppel-Vorlagen sind internatio­nal. Ich habe schon Japanerinn­en unterricht­et, mit meinem Englisch und vielen Gesten. Als sie alte japanische Klöppel-Vorlagen mitbrachte­n, konnten wir uns sofort verständig­en.“

Es ist still geworden. Nur das Klappern der Klöppel ist zu hören. Jeweils zwei Paare werden bearbeitet. Die beiden mittleren Klöppel kreuzen. Dann „Drehen“– also den ganz rechten Klöppel und den dritten von rechts über die links daneben liegenden heben. Und nochmals die Beiden in der Mitte kreuzen. Zwei Klöppeln nach rechts weglegen, zwei neue von links dazu holen und von vorn: kreuzen, drehen kreuzen. Könnerinne­n behaupten, sie könnten dabei fernsehen. Ich ertappe mich mit vor lauter Eifer im Mundwinkel eingeklemm­ter Zunge. Christine Aengeneydt-Lehming naht. „Perfekt“, sagt sie. Und katapultie­rt mich in den KlöppelHim­mel – für Anfänger.

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RP-FOTO: PRIVAT Christine Aengeneydt-Lehming zeigt Interessie­rten seit mehr als 30 Jahren, wie man klöppelt. RP-Redakteur Dirk Neubauer verlor nur zu Beginn den Faden.

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