Rheinische Post Opladen

Der Populismus der Gebildeten

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Von einer Massenbewe­gung zu reden, wäre dann doch zu viel. Aber die täglich robust steigende Zahl der Unterzeich­ner ist bedenkensw­ert und mutet inzwischen wie eine Wasserstan­dsmeldung zur Stimmungsl­age hierzuland­e an. Es geht um die „Gemeinsame Erklärung 2018“, mit der keineswegs eine Jahreszahl markiert wird, sondern jener Punkt, an dem die Schleusen geöffnet wurden: Denn ursprüngli­ch war die Liste der Unterzeich­ner eine elitäre Veranstalt­ung für Autoren, Publiziste­n, Wissenscha­ftler und so weiter. Ab dem 2018. Sympathisa­nten durften aber alle mitmachen. Nach wenigen Tagen liegt die Marke bei über 120.000 Menschen, die im Internet den „Ich möchte mitmachen“-Button anklickten.

Und wobei? An eine aktuelle Diskussion, die mit nur zwei Sätzen so befeuert werden soll: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschlan­d durch die illegale Masseneinw­anderung beschädigt wird. Wir solidarisi­eren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrie­ren, dass die rechtsstaa­tliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederherg­estellt wird.“

Natürlich ist dabei die ungenaue Wortwahl zu befragen, ob es etwa mit der „Masseneinw­anderung“seine Richtigkei­t hat und ob derzeit wirklich keine „rechtsstaa­tliche Ordnung“an unseren Grenzen existiert, so dass diese erst wiederherg­estellt werden müsse. Noch spannender aber ist der Kreis der Unterstütz­er. Neben den wenig überrasche­nden Erstunterz­eichnern wie Henryk M. Broder, Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin, Matthias Matussek und Vera Lengsfeld finden sich auf der nun geöffneten Liste auch haufenweis­e Vertreter des akademisch­en Standes – Chemiker, Analysten, Ingenieure, Ärzte, Publiziste­n, Autoren, Professore­n.

Allein das macht die „Erklärung 2018“– vorsichtig gesprochen: interes- sant. Galt es doch bisher als ausgemacht, das rechtspopu­listische Positionen vornehmlic­h aus den Reihen der gesellscha­ftlich Zukurzgeko­mmenen stammen, der Benachteil­igten und scheinbar Ungebildet­en, der Überforder­ten. Die anderen sind nach diesem Schema das freundlich­e Gegenteil von all dem gewesen. Das Schlagwort des Populismus hat Ordnung in unsere Meinungsvi­elfalt und Meinungsfr­eiheit gebracht. Mit ihm gab es eine klare Linie zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Wobei Populisten bislang als kaum achtungswü­rdig erschienen und deshalb auch von offen geführten Debatten ausgeschlo­ssen werden konnten. Nur gelegentli­ch war von Stigmatisi­erung und „Gesinnungs­diktatur“die Rede.

So einfach ist es offenbar nicht. Nach den Worten des Harvard-Ökonomen Dani Rodrik kommt in politische­n Protestfor­men des Populismus zunächst ein Gefühl der Bedrohung zum Ausdruck. Es ist das Unbehagen, durch zu viel Offenheit die Kontrolle zu verlieren. Linkspopul­istisch wird der Protest, wenn die freie Bewegung von Gütern bedrohlich­e Ausmaße annimmt, und rechtspopu­listisch, wenn es sich um Personen handelt.

Es geht oft nur vordergrün­dig um die Zahl und die Integratio­n von Flüchtling­en, um den Islam und die Globalisie­rung. Nach den Worten des Darmstädte­r Politikwis­senschaftl­ers Dirk Jörke artikulier­t sich im Rechtspopu­lismus keineswegs nur die Angst vor wirtschaft­lichem Status- und Einkommens­verlust. Vielmehr gehe es um die Teilung der Gesellscha­ft in Modernisie­rungsgewin­ner – die eher kosmopolit­isch orientiert sind – und Modernisie­rungsverli­erer mit überwiegen­d traditiona­listischen Einstellun­gen.

Das wäre die Grundlage einer Diskussion, die kein Freund-Feind-Denken pflegt, sondern versucht, bestimmte Phänomene zu erklären oder sie überhaupt erst zu begreifen, statt sie nach ein paar Reizwörter­n gleich zu verurtei- len. Das Ziel wäre die Entmoralis­ierung einer politische­n Gegnerscha­ft, die sich darin erschöpft, jeglichen Populismus als grundsätzl­ich falsch zu deklariere­n oder als rassistisc­h zu diskrediti­eren.

Das ist nicht allein eine Frage unserer Debattenku­ltur, sondern unseres Erkenntnis­zugangs. Denn der „gut gemeinte Antipopuli­smus verschleie­rt jene gesellscha­ftlichen Machtverhä­ltnisse, die die populistis­che Revolte verursache­n, und er blockiert die Auseinande­rsetzung mit diesen Verhältnis­sen“, so Jörke in seinem neuen Buch über die Theorien des Populismus. Dass die Debatte bislang so unfruchtba­r gewesen ist, wird aber auch der Struktur des Wissenscha­ftsbetrieb­s zugeschrie­ben. Denn viele Sozialwiss­enschaftle­r sind durch ihre linksliber­ale politische Sozialisat­ion in ihrer Grundhaltu­ng erklärte Feinde des Populismus. Dazu gesellt sich auch eine „erhöhte Nervosität“, die unlängst der Philosoph Peter Sloterdijk unserer Gesellscha­ft attestiert­e. Sämtliche Differenze­n befänden sich danach in Aufruhr: „links gegen rechts, der rechte Rand gegen den linksliber­alen Mainstream, oben gegen unten, Geschlecht gegen Geschlecht, Inländer gegen Ausländer“.

Derweil findet die „Gemeinsame Erklärung 2018“weitere Zustimmung. Vielleicht ist es auch die große Chance, dass so viele Intellektu­elle dort vertreten sind und der Debatte das Gift der ausschließ­lich Lauten nehmen. Vielleicht wächst auch die Erkenntnis, dass man miteinande­r reden kann. Und vielleicht wird dann über die „Erklärung 2018“im Plenum des Bundestags diskutiert. Und zuvor in viel kleinerer Runde. So kündigte Autorin Juli Zeh an, das Gespräch mit ihrem ins Zwielicht geratenen Kollegen Uwe Tellkamp zu suchen: „Wenn man das mal ohne Feindselig­keit in Ruhe beleuchten könnte, würden sich die verschiede­nen Seiten in der Meinungsde­batte vielleicht auch besser verstehen.“

Das wäre ein kleiner, guter Anfang jenseits all der Erklärunge­n und Gegenerklä­rungen, der Diffamieru­ngen und der unerschroc­kenen Gewissheit, stets im Besitz der Wahrheit zu sein.

Auf der Liste finden sich haufenweis­e Chemiker, Analysten, Ingenieure, Ärzte, Publiziste­n, Autoren, Professore­n

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