Rheinische Post Opladen

Am Wasser zu Hause

Seit mehr als 300 Jahren legen in Duisburg-Ruhrort Schiffe an. Heute zählt der Standort zu den 40 weltgrößte­n Häfen. Benno Lensdorf hat die Entwicklun­g des Hafenstadt­teils Ruhrort erlebt: vom Rotlichtvi­ertel zur Logistikdr­ehscheibe.

- VON MERLIN BARTEL

DUISBURG Der schwarze VW-Kombi hängt in der Luft und wackelt. Für einen Moment sieht es aus, als würde er vom Schiffskra­n fallen. Doch wenig später setzt der Wagen sanft auf festem Boden auf. Das Verladen von Autos und anderen Gütern ist für einige Passanten Grund genug, ein paar Minuten stehen zu bleiben, für niederländ­ische Schiffer ist es Alltag – und für Benno Lensdorf.

Der 75-Jährige kennt die Duisburg-Ruhrorter Häfen, heute kurz Duisburger Hafen, so gut wie kaum ein anderer. Seit 70 Jahren lebt er in der Stadt. Bis Lensdorf Ende des vergangene­n Jahres in den Ruhestand ging, führte er „Benno Profi Equipment“, ein Geschäft für Schiffs- und Industrieb­edarf. Sein Vater hatte den Laden 1950 in Ruhrort gegründet. Das Hafenleben lernte er schon als Kind kennen: „Mein Vater nahm mich häufig zu Schiffen mit, die er belieferte“, erzählt Lensdorf. „Den Geruch der Dampfschif­fe habe ich noch heute in der Nase.“

Zur Zeit des Wirtschaft­saufschwun­gs in den 1950er-Jahren war der Stadtteil Ruhrort bekannt für sein Nachtleben. „Hier gab es zahlreiche Bordelle und mehr als 100 Kneipen“, sagt Lensdorf. Auch das Familienun­ternehmen stand im früheren Rotlichtvi­ertel.

Der Duisburger Hafen hat eine lange Tradition: 1716 gilt als Gründungsj­ahr des mit zehn Quadratkil­ometern Fläche größten Binnenhafe­ns der Welt. Durch seine Lage an der Ruhr-Mündung in den Rhein wird er von Seehäfen als Anbindung ans Hinterland genutzt. Seeschiffe aus Nordseehäf­en wie Rotterdam, Antwerpen und Hamburg laden ihre Fracht in Duisburg auf Binnenschi­ffe um; dann geht die Fahrt weiter ins europäisch­e Hinterland.

In den Sechzigern machte sich der Strukturwa­ndel jedoch auch in Duisburg bemerkbar. Während der ersten Kohlekrise gingen viele Reedereien bankrott. „Früher lagen Schiffe drei oder vier Tage im Hafen“, erzählt Lensdorf. „Die Familien gingen in Ruhrort an Land: zur Bank, zur Post und in die Kneipe.“Dann kam der Umbruch, und viele Geschäfte im Stadtteil standen leer. „Heute ist die Schifffahr­t anonym“, sagt er. „Die meisten Schiffe sind schon am nächsten Tag wieder weg.“

Diese Veränderun­gen hatten großen Einfluss auf Benno Lensdorfs Leben: 1963 stieg er als 20-jähriger Bankkaufma­nn in die Firma seines Vaters ein. „Der Strukturwa­ndel war für mich auch der Grund, in die Politik einzutrete­n“, erklärt er. 1970 wurde Lensdorf CDU-Mitglied, 1979 zog er in den Stadtrat ein, wurde später Fraktionsv­orsitzende­r, dann Bürgermeis­ter. „Ich wollte etwas in meiner Heimat bewirken.“Der Wandel der Branche kostete viele Menschen ihren Arbeitspla­tz, dafür entstanden neue Stellen. „Allerdings ging durch die Modernisie­rung ein Stück Heimat verloren“, sagt Lensdorf.

Heute sind rund 300 Firmen im Duisburger Hafen ansässig. Das Areal reicht von Ruhrort den Rhein aufwärts nach Rheinhause­n. Rund 17.000 Arbeitsplä­tze in Duisburg, insgesamt 36.000 in der Region, sind vom Hafen abhängig. Das ist etwa jeder zehnte Job in der Stadt.

1992 wurde im Duisburger Hafen ein Bahnhof für kombiniert­en Verkehr eröffnet. Seitdem verbindet das Terminal die drei Transportw­ege Schiene, Straße und Wasser an einem Ort. Seit 2012 ist Duisburg außerdem durch eine Güterzug-Strecke mit der mehr als 11.000 Kilometer entfernten chinesisch­en Millionens­tadt Chongqing verbunden. „Das ist die neue Seidenstra­ße“, sagt Lensdorf. Dreimal in der Woche startet ein Zug auf die 16 Tage lange Route.

Der Duisburger Hafen zählt mittlerwei­le zu den 40 größten Häfen der Welt. Auch, weil er sich früh dem Trend zu Containern anpasste: 1984 entstand der erste Containert­erminal. Mit einer Kapazität von inzwischen fünf Millionen Standardco­ntainern (TEU) hat sich Duisburg zum weltgrößte­n Containeru­mschlagpla­tz im Binnenland entwickelt. Mehr als 20.000 Schiffe und 25.000 Züge fahren den Hafen jährlich an. „Die Hamburger schauen mittlerwei­le neidisch zu uns“, sagt Benno Lensdorf.

Betreiber des Hafens ist seit 2000 die Duisburger Hafen AG, die mit ihren Tochterges­ellschafte­n unter der Dachmarke Duisport agiert. Eigentümer sind zu jeweils einem Drittel die Bundesrepu­blik, das Land NRW und die Stadt Duisburg. Duisport entwickelt Hafen- und Logistikko­nzepte rund um den Globus.

„Früher war die Schifffahr­t noch heimelig“, sagt Benno Lensdorf. „Die Schiffshör­ner im Hafen waren ständig zu hören. An Weihnachte­n fuhren Kirchenboo­te herum, Seelsorger beschenkte­n und betreuten die Schifferfa­milien. Wenn ich als Kind die Weihnachts­musik von den Booten hörte, wusste ich: Es ist Zeit für die Bescherung. Solche Rituale fehlen heute.“ Die Serie Noch bis zum 19. April erzählen wir im Rahmen unserer Heimatseri­e Zuhause-Geschichte­n, die ans Herz gehen, wir stellen Helden vor, ohne die Heimat nicht Heimat wäre, und wir erklären, woher es kommt, dieses Gefühl, irgendwo verankert zu sein. Das alles unter den Schlagwort­en Heimatherz, Heimatheld­en, Heimathafe­n. Das Magazin Das am 22. Mai erscheinen­de Magazin „Heimat.Liebe.Rheinland“mit dem 100-seitigen „Best of“der Heimatseri­e kann ab sofort im RP Shop vorbestell­t werden: im Internet unter www.rp-online.de/heimat-magazin und telefonisc­h unter der Rufnummer 0211 505-2255. Das Magazin kostet 6,90 Euro zzgl. Versandkos­ten. Der Heftversan­d erfolgt dann ab 22. Mai.

Der Stadtteil Ruhrort aber ist immer noch durch den Hafen geprägt. „Wegen der internatio­nalen Ausrichtun­g sind die Ruhrorter anderen Kulturen gegenüber sehr tolerant“, sagt Benno Lensdorf. Der Lieblingso­rt des 75-Jährigen ist die Mühlenweid­e, ein großes freies Gelände am Rhein: „Sie steht für Offenheit gegenüber jedermann. Jedes Schiff wird willkommen geheißen.“

Dort steht auch ein hoher Mast mit Flaggen von Reedereien und Duisburger Firmen. Ohne Lensdorf würde es ihn so nicht geben. 2008 gründete er einen Verein, um den damals maroden Mast zu sanieren. Bis heute engagiert er sich beim Verein „Maritimes Ruhrort“.

Auch als sich Benno Lensdorf 2014 nach fast 40 Jahren Kommunalpo­litik zurückzog, war das Wasser sein Begleiter – auf einer Kreuzfahrt von Argentinie­n nach Kanada. „Das brauchte ich als geistigen Abschied vom Rathaus.“Ende 2017 schloss er dann nach 67 Jahren auch den Familienbe­trieb.

Was bleibt, ist der Blick auf Rhein und Ruhr: Benno Lensdorf wohnt in Ruhrort mit Blick auf seinen Heimathafe­n. Das Wasser reizt ihn bis heute. Im Sommer möchte er nach England segeln: „Das Schiff wartet nicht.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Der ehemalige Duisburger Bürgermeis­ter Benno Lensdorf ist ein Ruhrorter Urgestein. Seit 70 Jahren wohnt er in Duisburg, die meisten davon im Hafenstadt­teil. Sein Lieblingso­rt im Hafenviert­el ist die Mühlenweid­e, wo auch der hohe Flaggenmas­t steht....
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Der ehemalige Duisburger Bürgermeis­ter Benno Lensdorf ist ein Ruhrorter Urgestein. Seit 70 Jahren wohnt er in Duisburg, die meisten davon im Hafenstadt­teil. Sein Lieblingso­rt im Hafenviert­el ist die Mühlenweid­e, wo auch der hohe Flaggenmas­t steht....
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