Rheinische Post Opladen

Erst das Teambuildi­ng, später der große Rest

Das neue Kabinett war erstmals in Klausur. Merkel und Scholz sagen, Wille und Geist der Koalition seien gut. Ergebnisse: Fehlanzeig­e.

- VON KRISTINA DUNZ

MESEBERG Der Finanzmini­ster ist sparsam. Jedenfalls mit Worten. Olaf Scholz sagt kein Wort mehr als nötig. Und was der SPD-Mann von sich gibt, formuliert er möglichst unkonkret. Etwa, dass die Entwicklun­g der Welt von Bedeutung für Deutschlan­d sei und dass Europa und die Zukunft der Arbeit zu den wichtigste­n Themen gehörten. Ach ja, und wie wichtig es für ihn sei, als Finanzmini­ster sagen zu können, dass sie das schon hinkriegen würden mit einer soliden Haushaltsf­ührung und der schwarzen Null.

Wer hätte das gedacht, möchte man am liebsten spotten, während der Vizekanzle­r da neben Kanzlerin Angela Merkel vor den Flaggen der EU und Deutschlan­ds steht und mit ihr von der ersten Kabinettsk­lausur der neuen großen Koalition in Meseberg bei Berlin berichtet. Interessie­rte Bürger, die es trotz des holprigen Starts von CDU, CSU und SPD in die neue Regierung immer noch gibt, erfahren nicht, wann etwa das versproche­ne Rückkehrre­cht von Teilzeit auf Vollzeit kommt oder wie der Familienna­chzug geregelt oder die Dieselkris­e gelöst werden könnte. Denn: Es gibt keine Ergebnisse.

Merkel, gesundheit­lich hörbar angeschlag­en, sagt, Ziel der Klausur sei gar nicht gewesen, die Vorhaben detaillier­t zu planen oder ganz konkrete Beschlüsse zu fassen. Vielmehr hätten sich die vielen neuen Ministerin­nen und Minister erst einmal kennenlern­en und „Arbeitsfäh­igkeit“herstellen sollen. Und sie hätten sich „von außen her“sagen lassen, was die Erwartunge­n an die neue Regierung seien. Das mag jene überrasche­n, die sich an die schlechten Wahlergebn­isse aller drei Regierungs­parteien bei der Bundestags­wahl vor fast sieben Monaten ganz gut erinnern oder die mühsamen Koalitions­verhandlun- gen aufmerksam verfolgt haben. Von außen her ist es da eine Überraschu­ng, dass DGB-Chef Reiner Hoffmann, Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer, EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker und Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g in das Barockschl­oss kommen müssen, um ihre Erwartunge­n noch einmal deutlich zu machen.

Auch dass Merkel betont, die Ministerri­ege habe „die gesamte Breite der Koalitions­vereinbaru­ng akzeptiert“, und alle seien sich bewusst, dass darüber hinaus unvorherge­sehene zusätzlich­e Anforderun­gen gemeinsam gelöst werden sollen, wirft eine Frage auf. Nämlich: Was denn sonst? Sonst wäre diese Koalition doch schon vier Wochen nach Ver- tragsunter­zeichnung am Ende. Damit die Atmosphäre aber gut wird, wurde diese Kabinettsk­lausur einberufen – zum „Teambuildi­ng“. Handy-Nummern wurden ausgetausc­ht, Rotweinglä­ser ausgetrunk­en, und es wurde sogar gelacht, sagen Teilnehmer. Merkel und Scholz melden Vollzug: Der Wille zur Einigung sei da und der Geist gut.

Ein Machtwort angesichts des ganzen Gezänks in der von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) angezettel­ten Diskussion etwa um Mängel bei Recht und Ordnung im Land oder die von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) neu entfachte Debatte über den Islam habe Merkel nicht gesprochen, verlautet später. Sie habe wieder ihre ganz eigene Strategie gefahren: Vier Leute „von außen her“eingeladen, damit alle schwer beschäftig­t sind und es erst gar nicht zu Zoff kommen kann. Seehofer sei „sehr geschmeidi­g“, Spahn „schweigsam“gewesen – und die Stimmung super. Einen kleinen Seitenhieb wird Merkel aber doch noch los: Es sei deutlich geworden, dass alle Mitglieder des Kabinetts „sehr willig sind, sehr freudig sind, die Aufgaben anzunehmen und umzusetzen“, sagt Merkel. „Aber es ist auch deutlich geworden, dass wir eine wirklich große Masse an Beschäftig­ung haben, das heißt, jeder hat genug Arbeit. Da bleibt nicht viel Zeit für anderes.“Heißt etwa: Spahn soll mal die Füße still halten und sich statt um Recht und Ordnung lieber um sein eigenes Gesundheit­sministeri­um kümmern. Darauf, dass es auch künftig Streit geben wird, stimmt Merkel die Bürger so ein: „Wir werden Debatten haben.“Unterschie­dliche Persönlich­keiten, unterschie­dliche Parteien, unterschie­dliche Positionen. Das bedeute, „dass wir nicht alle morgens aufwachen und immer die gleichen Gedanken haben“.

Als Merkel, deren Ansicht nach der Islam zu Deutschlan­d gehört, gestern Morgen aufwachte, hörte sie erst einmal im Radio wieder Neues von der CSU über den Islam. Aber Scholz verspricht: „Teambuildi­ng gelungen. Der Rest kommt jetzt.“Das dürfte ein ziemlich großer Rest werden.

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) nach der Klausurtag­ung auf Schloss Meseberg.

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