Rheinische Post Opladen

30 Millionen für VW-Chef

Heute könnte der Aufsichtsr­at das Aus von Matthias Müller beschließe­n – samt Abfindung.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND FLORIAN RINKE

WOLFSBURG Als Matthias Müller seinen Job antrat, wusste er, dass er ein Mann des Übergangs sein würde. Der Abgasskand­al bei Volkswagen hatte gerade Vorstandsc­hef Martin Winterkorn aus dem Amt gefegt, im Konzern herrschte Chaos, weil niemand so genau wusste, wer involviert war und welche Strafen drohten. Müller genoss das Vertrauen der Großaktion­äre Porsche und Piëch – und das ist in diesem Weltkonzer­n, der oft geführt wird wie ein Familienbe­trieb, entscheide­nd. Also übernahm Müller.

Im September 2015 war der gebürtige Chemnitzer bereits 62 Jahre alt, bei Ablauf seines Vertrags 2020 wäre er praktisch im Rentenalte­r –in der Automobilb­ranche, wo die Entwicklun­gszyklen für Fahrzeuge oft sechs bis sieben Jahre betragen, war damit von Anfang an abzusehen, dass er Dinge anstoßen, aber nicht vollenden können würde. Müller wusste das, doch dass sein Abschied so früh kommt, hätte er wohl nicht gedacht.

Denn obwohl Müller den Konzern bislang finanziell vergleichs­weise glimpflich durch die DieselKris­e führte und gleichzeit­ig Milliarden­gewinne ablieferte, will der Aufsichtsr­at angeblich heute den VW-Markenchef Herbert Diess zum neuen Volkswagen-Chef küren. Die für Freitag geplante Aufsichtsr­atssitzung wird dazu angesichts der Turbulenze­n einen Tag vorgezogen.

Finanziell dürfte Müller weich fallen. Ihm steht für die Restlaufze­it seines bis Ende Februar 2020 laufenden Vertrages eine Abfindung von 18,9 Millionen Euro zu, sofern er Ende April ausscheide­t. Das hat der Vergütungs­experte Heinz Evers für unsere Redaktion ausgerechn­et. Ab dem Rentenbegi­nn am 1. März 2020 würde dann noch eine jährliche Pension in Höhe von 1, 061 Millionen ausgezahlt, rechnet Evers vor. Müller würden 67 Prozent der Festvergüt­ung von 2016 zustehen, sagt der Un

terneh- mensberate­r. Das wären 88.400 Euro monatlich. Den Wert dieser Zusage beziffert VW im Geschäftsb­ericht mit 30,1 Millionen Euro. „Falls Müller sehr lange lebt, wird auf VW eine noch höhere Auszahlung­summe zukommen.“

Ein Traumjob ist der Chefposten bei Volkswagen trotz allem für Müller nie gewesen – trotz Millioneng­ehalt, Macht und Einfluss. Doch der Manager haderte oft mit seinem öffentlich­en Bild, damit, dass er sich permanent mit dem Abgasskand­al beschäftig­en musste, statt sich um die Zukunft des Konzerns kümmern zu können. Als Porsche-Chef habe man ihn gefeiert und als VWChef sei er plötzlich für alle das Arschloch, klagte er mal.

Im Herzen, so wirkte es oft, blieb der heute 64-Jährige weiterhin ein Porsche-Mann. Fünf Jahre stand er an der Spitze des Sportwagen­hersteller­s. Zeit genug, um vom Mythos infiziert zu werden. Während er sich unter der Woche um den DieselSkan­dal und die Zukunft der rund 600.000 VW-Mitarbeite­r kümmerte, nutzte er die Wochenende­n immer mal wieder, um bei Veranstalt­ungen wie dem Sechs-Stunden-Rennen am Nürburgrin­g in der Box des Rennteams vorbeizusc­hauen. Und während er beruflich einen EGolf fährt und von dessen Vorzügen schwärmt, sammelt er privat Modelle des legendären Sportwagen­s Porsche 911. Von jeder der sieben Baureihen, die seit 1963 auf den Markt kamen, besitzt er einen.

Müller hat kein Problem, so etwas zu erzählen, genauso wenig wie er sich scheut, sein hohes Gehalt zu rechtferti­gen. Dass er zuletzt knapp zehn Millionen Euro verdiente, begründete er mit der Relevanz des Unternehme­ns für die Volkswirts­chaft sowie dem Risiko, das man als Chef trage. „Als solcher steht man immer mit einem Fuß im Gefängnis“, sagte er dem „Spiegel“. Auch eine politische Deckelung lehnte er ab und verwies auf die DDR: „Da ist auch alles geregelt worden.“

Mit dieser unkonventi­onellen Art eckte er häufig an, öffentlich, aber angeblich auch bei den Eigentümer­n. Speziell bei der jüngeren Generation der Porsches und Piëchs, heißt es, seien diese Aussagen nicht gut angekommen – zumal es nicht die einzigen polarisier­enden Aussagen waren. So zog Müller, zur Verwunderu­ng der Branche, die bestehende­n Steuervort­eile für Diesel in Zweifel. Und dass VW den Diesel-Skandal nicht los wird, liegt auch an der teils ruppigen Kommunikat­ion des Noch-Chefs.

Unternehme­risch gibt es gleichzeit­ig wenig zu mäkeln. Müller machte VW zum größten Autoherste­ller der Welt, leitete den Einstieg in die Elektromob­ilität ein und trieb die Digitalisi­erung voran. Gleichzeit­ig versuchte er, eine neue Führungsku­ltur zu etablieren – weg vom hierarchis­ch organisier­ten Konzern, hin zu mehr Eigenveran­twortung. „Nicht jede Entscheidu­ng muss hier in Wolfsburg getroffen werden“, sagte er mal. Die Werte „Love - Trust - Honesty“(Liebe, Vertrauen, Ehrlichkei­t), die auf einem Armband standen, das Müller während der Automesse IAA im vergangene­n Jahr trug, hielten zwar nicht direkt Einzug in Wolfsburg, dafür wurde aber immerhin die Vorrangsch­altung für Fahrten des Vorstands bei den Aufzügen abgeschaff­t. Ein Anfang.

„Wir wollen Volkswagen jünger, weiblicher und internatio­naler machen. Und weniger hierarchie­gläubig. Aber so ein Wandel braucht Zeit“, sagte Müller mal. Diess verkörpert diesen Wandel nur bedingt – er ist ein Mann und stammt wie Müller aus Bayern. Immerhin: er ist fünf Jahre jünger als Müller.

Müller polarisier­t mit seiner Art, lieferte gleichzeit­ig jedoch Rekordzahl­en ab

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FOTO: AP

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