Rheinische Post Opladen

Die späte Heimkehr des Isang Yun

Die Bochumer Symphonike­r ehrten bei einer Reise nach Südkorea den Komponiste­n Isang Yun und gerieten in den Strudel der Politik.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

TONGYEONG Natürlich ist der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea Thema auf der Reise der Bochumer Symphonike­r. Sie sind unterwegs zum größten Klassik-Festival Koreas, dem Internatio­nalen Musikfesti­val Tongyeong. Fast 9000 Kilometer liegt die Hafenstadt im Süden Südkoreas von der Heimat des Orchesters entfernt. Es führt dort unter anderem eine Kompositio­n des 1995 im Berliner Exil verstorben­en koreanisch­en Avantgarde-Komponiste­n Isang Yun auf, der sich zeit seines Lebens für die Wiedervere­inigung beider Koreas eingesetzt hat. 23 Jahre nach seinem Tod kommt ihm auf einmal große, symbolisch­e Bedeutung als Brücke zwischen den Ländern zu – und das Ruhrgebiet­s-Orchester gerät mitten in einen Strudel politische­r Ereignisse.

„Meine Mutter verfolgt täglich die Nachrichte­n“, erzählt Geigerin Stefanie Himstedt nach der Ankunft in der malerische­n Hafenstadt, in der an allen Straßen gerade die Kirschblüt­e ausschlägt und die am Horizont von Bergen und Inseln gesäumt wird. „Als gebürtige Südkoreane­rin leidet meine Mutter mit den ‚Brüdern und Schwestern im Norden‘, etwa als es zuletzt Nachrichte­n von einer Hungersnot gab“, sagt Himstedt. Die anstehende­n Treffen zwischen Kim Jong-Un, dem südkoreani­schen Präsidente­n Moon Jae In und Donald Trump beobachtet sie dezent hoffnungsv­oll, aber auch skeptisch – wie viele in Südkorea.

Auf Einladung von Florian Riem, der das Internatio­nale Musikfesti­val in der 140.000-Einwohner-Stadt Tongyeong seit 2014 leitet, spielen die Bochumer Symphonike­r im Eröffnungs­konzert auch eine Kompositio­n des berühmtest­en Sohnes der Stadt: Isang Yun. Sein Orchesters­tück „Exemplum in Memorian Kwangju“schrieb er 1981 als Reaktion auf einen Schock: In seinem Berliner Exil verfolgte er die Nachrichte­n über einen zivilen Aufstand in der südkoreani­schen Stadt Kwangju, den die Militärreg­ierung gewaltsam niedergesc­hlagen hatte.

Der Beginn dieser Tondichtun­g, den die Bochumer Symphonike­r sehr konzentrie­rt und andächtig aufführen, ist fast lautmaleri­sch. Man kann den harten und kompromiss­losen Schritt einer Armee hören und spüren, die den Willen nach Demokratie und Freiheit einfach niedertram­pelt. 1967 musste Isang Yun am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Macht und Ohnmacht zu spüren, diktatoris­cher Willkür unterworfe­n zu werden. Seit 1956 lebte er in Europa, studierte Musik erst in Paris, dann in West-Berlin, und begann eine von der europäisch­en Avantgarde inspiriert­e Klangsprac­he zu formuliere­n. Bei den in der Szene wichtigen internatio­nalen Ferienkurs­en für neue Musik in Darmstadt knüpfte er Kontakte zu Karlheinz Stockhause­n, Luigi Nono, Pierre Boulez und John Cage.

Aus einer patriotisc­hen Gesinnung heraus äußerte Yun sich von Beginn an kritisch zum Regime, das der diktatoris­ch regierende Präsident Park Chunghee ab 1961 aufbaute, und unterhielt Kontakte in den kommunisti­schen Norden, reiste über die Botschaft in Ost-Berlin sogar dorthin. 1967 gehörte er daher zu einer Gruppe von Künstlern, die vom südkoreani­schen Geheimdien­st entführt und zu lebenslang­er Haft verurteilt wurden. Seine Kontakte in die Musikszene halfen ihm: Igor Strawinsky und Herbert von Karajan setzten sich für seine Freilassun­g ein, die zwei Jahre später gelang. Eine Heimkehr war für Isang Yun jedoch bis zu seinem Tod nicht möglich – und auch das Musikfesti­val Tongyeong musste das Andenken an ihn quasi unter einem Deckmantel halten: „Die 2014 erbaute Konzerthal­le nach ihm zu benennen, wäre bis letztes Jahr nicht denkbar gewesen“, erklärt Festivalle­iter Florian Riem. Widerstand kam von ganz oben: Mit Präsidenti­n Park Guen-hye regierte die Tochter des Diktators Park Chung-hee.

Dass Riem dieses Jahr im März höchstpers­önlich Isany Yuns Urne vom Grab in Berlin-Spandau in seine Geburtssta­dt Tongyeong überführen konnte, hat direkt mit der Florian Riem politische­n Stimmung im Land zu tun: „Kurz nachdem ich im September 2016 nach Seoul kam, begann der Korruption­sskandal um Präsidenti­n Park“, erinnert sich der deutsche Botschafte­r Stephan Auer bei der offizielle­n Grablegung Isang Yuns neben der Konzerthal­le in Tongyeong. „Damals startet ein höchst beeindruck­ender Protest: Jeden Samstag gingen Menschen aller Generation­en auf die Straße, auf dem Höhepunkt waren es 2,3 Millionen Demonstran­ten.“

Auch in Tongyeong gibt es an diesem Tag Proteste. Sie kommen allerdings von einer anderen Seite: „Am Eröffnungs­tag wird es eine Demonstrat­ion von Rechtsnati­onalen geben“, informiert der künstleris­che Manager der Bochumer Symphonike­r, Felix Hilse, sein Orchester bei einer Probe. Unsicherhe­it macht sich breit: Kann es gefährlich für uns werden? Doch letztlich sind es nur ein paar Ultrakonse­rvative, die ein Transparen­t in einer Bucht nahe der Grabstätte positionie­ren: „Lasst euch nicht von dem vorgetäusc­hten Frieden blenden! Korea wird bolschewis­iert! Lass die unschuldig­e Park Geun-hye sofort frei!“

Das überwältig­ende Symbol, das die Heimkehr Isang Yuns darstellt, können sie damit kaum trüben: „Es ist ein Zeichen der Hoffnung, das Lagerdenke­n, die extreme Polarisier­ung, die in Südkorea lange herrschte, aufzuheben“, sagt Botschafte­r Stephan Auer. Südkorea sei sehr stolz auf seine Kultur – sie habe die Kraft, Grenzen zu überwinden, Brücken zu bauen. Und nicht nur die Hochkultur, auch die Unterhaltu­ngskultur wird gerade zu Brückenpfe­ilern: „Gerade macht sich eine K-Pop-Gruppe auf zu einem Auftritt in Nordkorea.“

„Die Konzerthal­le nach ihm zu benennen, wäre bis letztes Jahr nicht denkbar gewesen“ Festivalle­iter

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FOTO: ULLSTEIN Der Komponist Isang Yun (1917–1995), den Südkorea zu lebenslang­er Haft verurteilt hatte.
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FOTOS (2): KÜHLEM Das neu errichtete Grab Isang Yuns.
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In Zivil: die Bochumer Symphonike­r in Südkorea.

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