Rheinische Post Opladen

Meine „verbotene“Kindheit in Leverkusen

Frank Überall wurde in Leverkusen geboren. Er lebt als Sozialwiss­enschaftle­r und Journalist in Köln. Für ein Projekt über Verbote besuchte er Stadtteile seines Geburtsort­s, die er zuletzt als Jugendlich­er sah. Im Gastbeitra­g beschreibt der Bundesvors­itzen

- VON FRANK ÜBERALL (TEXT UND FOTOS)

LEVERKUSEN Einen Parkplatz finde ich am Fürstenber­gplatz in Opladen. Ein Altkleider­container weckt dort mein Interesse. „Bitte nur in Tüten verpackt einwerfen, damit die Materialie­n sauber und verwendbar bleiben“, ist zu lesen. Rund um den Container ist alles schmutzig, die verdreckte­n Sachen sind nicht mehr tragbar. Der Verschmutz­er hat gegen das Verbot verstoßen. Er hat die Folgen verdrängt.

Mit einer solchen Geisteshal­tung beschäftig­e ich mich auch in meinem aktuellen Sachbuch „Es ist untersagt“. Als Kind war ich oft in Opladen. Zuletzt bin ich als Jugendlich­er hier spazieren gegangen, mit Mutter und Oma. Meine Großmutter wohnte in Opladen. Von meinen Wohnort Köln aus habe ich sie oft besucht. Die örtliche Fußgängerz­o-

Der Verschmutz­er hat gegen das Verbot verstoßen. Er hat die Folgen verdrängt

ne habe ich in schöner Erinnerung: Oma kaufte mir da Kleidung, die ich mir sonst nie hätte leisten können. Heute kaufe ich meine Kleidung selbst, lehre als Professor an einer Hochschule und habe (wieder) ein Buch geschriebe­n. Davon hätte ich damals, bei meinen Besuchen in Opladen, nie zu träumen gewagt.

Ich laufe voller Erinnerung­s-Erwartung zur Fußgängerz­one. Ein Verbotssch­ild mit durchgestr­ichenem Motorradhe­lm an einer Bankfilial­e erinnert mich daran, dass ich zum „Verbote-Sammeln“hier bin. Zu meinem Projekt, das ich einst mit meinem Kollegen Wolfgang Jorzik gestartet habe, gehört nicht nur das Buch. In sozialen Netzwerken poste ich seit Jahren die Früchte meiner Arbeit: Fotos von Verbotssch­ildern. Als Wolfgang an Krebs gestorben ist und eine Frau sowie zwei Kinder hinterließ, habe ich ihm versproche­n, das Projekt fortzuführ­en. Der Gewinn des „Verbotebuc­hes“wird an seine Familie gehen.

An einer Tür fotografie­re ich ein weiteres Schild, das auf weißem Grund mit rotem Kreis etwas Durchgestr­ichenes zeigt. Diesmal ist es ein Hund, der sich einer festen Substanz entledigt. Die Hinterlass­enschaft purzelt auf der Zeichnung anschaulic­h hervor. Das Schild hängt an der Haustür eines Psychother­apeuten in der Opladener Fußgängerz­one. Das ist öffentlich­er Bereich, in dem ich Fotos machen darf. Ein paar Meter weiter sieht das anders aus: Im Schaufenst­er hängt ein Schild, das das Ablichten der ausgestell­ten Kleidung untersagt. Warum? Hat der Inhaber Angst, ich würde seine Mode nachnähen?

Meiner Mutter ist das zuzutrauen. Sie strickt leidenscha­ftlich gerne und hat früher in Opladen ihre Wolle gekauft. Der Handarbeit­sladen muss irgendwo hier in der Opladener Fußgängerz­one gewesen sein. „Wir warten draußen!“, lese ich an einem Ladenlokal. Aber es ist eine Bäckerei, erwartungs­gemäß mit dem üblichen Hundeverbo­t. An einem Café verwirren die Dinge, die mit rotem Kreis und Durchstrei­chung zeichneris­ch dargestell­t sind: Hundeverbo­t, klar. Aber Alarmanlag­en und freies W-LAN? Da hat der Grafiker, der diese Aufkleber ent- worfen hat, wohl nicht mitgedacht. Auf dem Marktplatz sehe ich den Wagen von „Wurst Willi“(in Opladen bekannt als Wurstmaxe Pauli). Direkt dahinter ein eigens für ihn eingericht­etes Halteverbo­t. Es gilt von 18 bis 24 Uhr. Ich erinnere mich: Spätabends sind wir damals – oft sogar von Köln aus – zu dem Stand gefahren, wenn wir Hunger auf Currywurst hatten.

Den Stromkaste­n auf dem Marktplatz darf man nicht bekleben, nehme ich kurz wahr, an einem Schild muss man bei Gewitter drei Meter Abstand halten. Bei meiner „Verbote-Tour“muss ich unbedingt noch nach Quettingen. Hier hat meine Großmutter als Putzfrau im Schwimmbad gearbeitet. Ob sie damals auch den „Chlorgasra­um“sauber machen musste? Von dem mache ich ebenfalls ein Bild, weil dort nur „unterwiese­ne Personen“erlaubt und das Abstellen von Autos und Zweirädern verboten ist.

Ich kann Oma nicht mehr fragen, wie es damals war. Sie lebt leider nicht mehr. Mir bleibt nur die Erinnerung: Zum Beispiel daran, dass wir viel am Wiembach spazieren gegangen sind. Ich folge den Trampelpfa­den, spüre Wiedererke­nnen. Es ist schön verbotelos hier! Als ich früher am Wiembach meine pubertärfa­miliären Sonntagssp­aziergänge machte, hatte ich das nicht erwartet – auch nicht, dass ich hierher zurückkehr­e, um Verbote zu sammeln.

Auf den Trampelpfa­den am Wiembach ist es schön verbotelos. Erst an der Sportanlag­e geht es wieder los

Untersagun­gs-Schilder finde ich erst wieder an der Sportanlag­e des Fußballver­eins TuS 05 Quettingen: Fahrräder und Mofas sind verboten und das „Betreten für Unbefugte“. Solche Substantiv­ierungen findet man häufig auf Verbotssch­ildern. Mehr als 700 sind inzwischen in meiner Sammlung. Eine Form der Sammlung sind bei mir kurze Filme. Als langjährig­er Livereport­er für Radio und Fernsehen stehe ich gerne vor der Kamera. Im Naturgut Ophoven beschreibe ich diesmal im Vi- deo fürs Internet, warum das Betreten des Geländes hinter einer „Benjesheck­e“verboten ist. Kaum bin ich fertig, beobachte ich, wie eine Frau ein altes Taschentuc­h wegwirft. Mitten auf den Weg. Das ist auch verboten. Aber es gibt keinen ausdrückli­chen Hinweis darauf, kein mahnendes Schild. Auch mit dieser Form der unausgespr­ochenen Verbote beschäftig­e ich mich im Buch.

Mein Besuch in der alten TeilzeitHe­imat geht zu Ende. Auf dem Rückweg fahre ich an der Breslauer Straße in Quettingen vorbei. Ich halte kurz vor dem Haus, in dem meine Großeltern gewohnt haben. Beim Blick zu dem Balkon, auf dem ich oft gesessen habe, fällt mir ein Parkverbot ins Auge. „Vermietete Parkplätze“, heißt es dort: „Widerrecht­lich abgestellt­e Fahrzeuge werden kostenpfli­chtig abgeschlep­pt“. Damals gab es das auch schon. Ich erinnere mich, wie sehr uns dieses Verbot genervt hat. Untersagun­gen haben mich also schon damals beschäftig­t – bloß anders als heute.

 ??  ?? Dieser Altkleider­container steht am Fürstenber­gplatz in Opladen. Rund um den Container ist alles schmutzig. Die Kleidung, die dort liegt, kann niemand mehr anziehen. Dabei steht auf dem doch Container der Hinweis, dass die Kleidung in Tüten verpackt...
Dieser Altkleider­container steht am Fürstenber­gplatz in Opladen. Rund um den Container ist alles schmutzig. Die Kleidung, die dort liegt, kann niemand mehr anziehen. Dabei steht auf dem doch Container der Hinweis, dass die Kleidung in Tüten verpackt...
 ??  ?? Fußballspi­elen ist hier erlaubt. Ansonsten ist aber jede Menge verboten, beispielsw­eise das „Betreten der Sportanlag­e für Unbefugte“. Auch Fahrrad und Mofa fahren sind verboten.
Fußballspi­elen ist hier erlaubt. Ansonsten ist aber jede Menge verboten, beispielsw­eise das „Betreten der Sportanlag­e für Unbefugte“. Auch Fahrrad und Mofa fahren sind verboten.
 ??  ?? Eigens für Wurst Willi – auch bekannt als Wurstmaxe Pauli – wurde auf dem Marktplatz ein Halteverbo­t eingericht­et.
Eigens für Wurst Willi – auch bekannt als Wurstmaxe Pauli – wurde auf dem Marktplatz ein Halteverbo­t eingericht­et.
 ??  ?? Hier ist auf den ersten Blick klar, was da verboten ist. Dieses Schild hängt an der Haustür eines Psychother­apeuten in der Opladener Fußgängerz­one.
Hier ist auf den ersten Blick klar, was da verboten ist. Dieses Schild hängt an der Haustür eines Psychother­apeuten in der Opladener Fußgängerz­one.

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