Rheinische Post Opladen

Alle wieder wach!

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Der Fußball ist zu einer gigantisch­en Seifenoper mutiert. Es gibt jeden Tag neuen Stoff. Es ist ganz egal, ob man auch mal ein paar Folgen verpasst, man gewinnt schnell den Anschluss. Denn es ändert sich an der Geschichte selten etwas. Eine geschlosse­ne Gesellscha­ft von einer Handvoll Klubs macht die großen Titel unter sich aus. Spanien, Deutschlan­d und England marschiere­n seit Jahren vorneweg, wenn es um die wichtigste­n Trophäen im europäisch­en Vereinsfuß­ball geht. In den vergangene­n fünf Spielzeite­n erreichten zehnmal Teams aus Spanien (fünfmal Real Madrid, dreimal FC Barcelona, zweimal Atlético Madrid) das Halbfinale. Viermal schaffte es der FC Bayern in die Vorschluss­runde, einmal Borussia Dortmund. Aus England waren es je einmal Manchester City und der FC Chelsea. Aus Italien zweimal Juventus Turin. Nur ein Team aus einem anderen Land war vertreten: die AS Monaco in der vergangene­n Saison.

Und dann gibt es Abende wie diesen. Abende, an denen die Gesetzmäßi­gkeiten des Geschäfts ausgehebel­t werden. Die AS Roma ging im Viertelfin­alhinspiel der Champions League beim FC Barcelona mit 1:4 unter. Eine denkbar ernüchtern­de Ausgangspo­sition – und so ist es nicht verwunderl­ich, dass nur 100.000 Zuschauer hierzuland­e die Partie in der Einzelopti­on beim Bezahlsend­er Sky verfolgten. Die parallele Begegnung zwischen Manchester City und dem FC Liverpool wollten dagegen 470.000 sehen. Es sprach wenig gegen diese Entscheidu­ng. City wird von Pep Guardiola trainiert, die Reds von Jürgen Klopp – die Drei-Tore-Führung der Gäste sahen viele nicht als beruhigend­es Polster an. Bereits nach zwei Minuten erzielten die „Citizens“die Führung, und nun war man sich sicher, ein „Wunder“erleben zu können. Angesichts der Summen, die City in den Kader gepumpt hat, hätte sich die Sensation aber so oder so in engen Grenzen gehalten.

Es kommt nur noch ganz selten vor, dass der Fußball magische Momente bietet. Der Fußball bietet tolle Tore. Er bietet trotz moderner Hilfsmitte­l immer noch genügend Diskussion­sstoff, was die Bewertung von strittigen Szenen angeht. Doch er hat viel von seiner Unberechen­barkeit eingebüßt. In dem zurücklieg­enden Transferso­mmer haben die fünf stärksten Ligen des Kontinents fast 4,5 Milliarden Euro in neue Spieler investiert. In der englischen Premier League waren es 1,549 Milliarden, die italienisc­he Serie A hat 1,033 Milliarden ausgeben, die Ligue 1 in Frankreich 675 Millionen, die deutsche Bundesliga 617 Millionen, und die spanische La Liga immerhin noch 555 Millionen Euro. Europäisch­e Fußballvie­lfalt sieht jedenfalls anders aus. Das letzte Mal, dass es ein Team aus einem Land außerhalb der Top fünf unter die letzten vier geschafft hat, liegt schon 13 Jahre zurück: 2005 scheiterte PSV Eindhoven im Halbfinale am AC Mailand.

Als in Rom Barca mit zwei Toren zurücklag, wollte noch nicht so richtig die Euphorie ansteigen. Da stand immerhin Lionel Messi für die Katalanen auf dem Platz. Und Andrés Iniesta. Und Gerard Piqué. Und Marc-André ter Stegen. Der Hochadel der Branche. Bei den Römern spielt ein gewisser Federico Fazio. Oder Daniele De Rossi. Letzterer ist einer breiteren Öffentlich­keit noch ein Begriff, weil er 2006 mit Italien Weltmeiste­r wurde. Aber Kostas Manolas? Kostas wer? Nur Feinschmec­ker des Sports werden ihn auf dem Zettel gehabt haben. Nun köpfte er den Ball zum 3:0 an ter Stegen vorbei und rüttelte damit alle wieder wach. Mit diesem Erfolg ist wenigstens für diesen kurzen Moment in Erinnerung gerufen worden, dass da nicht nur Marketingp­üppchen über den Rasen laufen. Der Fußball hat seine eigenwilli­ge Dynamik entfaltet – ein ekstatisch­es Stadion, ein entfesseln­d aufspielen­der Außenseite­r und der haushohe Favorit, der sich nicht mehr berappeln konnte.

In Frühzeiten der Champions League, die 1992 den Europapoka­l der Landesmeis­ter abgelöst hatte, lebten die europäisch­en Abende auch und vor allem von der Spannung durch überrasche­nde Siegeszüge von Außenseite­rn. Im modernen Fußballges­chäft ist die Hürde dafür allerdings sehr hoch geworden. Zu hoch? Über sechs Gruppenspi­ele einen der ersten beiden Plätze zu belegen, ist für einen Außen- seiter schwer genug. Dann in den K.o.-Spielen in Hin- und Rückspiel jeweils den ganz Großen noch einmal ein Bein zu stellen, ist sehr unwahrsche­inlich geworden. Zu groß ist der Unterschie­d der Qualität in den Kadern. Die Auswechsel­bank von Top-Klubs ist oft hochkaräti­ger besetzt als das Stammperso­nal der meisten Kontrahent­en.

Deswegen sind es Abende wie der in Rom, die sich ins kollektive Fußballged­ächtnis brennen. Die Geschichte­n schreiben, wie die von Roms amerikanis­chem Klubchef James Pallotta, der vor Fans in einen historisch­en Brunnen auf der zentralen Piazza del Popolo sprang und dafür vom Verbrauche­rschutzbun­d angezeigt wurde. Der dann statt der geforderte­n 500 Euro Strafe 230.000 Euro für die Restaurier­ung des Brunnens spendete. Es sind Abende wie der von Rom, die dem Fußball das Besondere geben. Das nicht Kalkuliert­e. Das nicht Berechenba­re. Berechenba­rkeit ist natürlich das, was die großen Klubs wollen, damit die Investoren die Laune an ihrem Spielzeug nicht verlieren. Sie nimmt den Produkt aber viel vom Glanz. Umso wichtiger, dass es wenigstens gelegentli­ch Ausgänge wie den in Rom gibt. Denn es wird noch genügend Spielausgä­nge geben, die alles sind, aber nicht überrasche­nd.

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FOTO: REUTERS Völlig losgelöst in der ewigen Stadt: Roms Torschütze Konstantin­os „Kostas“Manolas (Mitte) versucht, seiner Freude in der 82. Minute angemessen Ausdruck zu verleihen und rennt ekstatisch über den Platz – sein Trainer Eusebio Di Francesco (rechts,...

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