Rheinische Post Opladen

Der Mahner Botho Strauß übt sich als Kulturpess­imist

- VON WELF GROMBACHER

Der Datenskand­al bei Facebook erhitzt die Gemüter. In diesen Erregungsz­ustand platzt das neue Buch von Botho Strauß mitten hinein. Lange schon übt der Schriftste­ller sich als Mahner und warnt vor blindem Fortschrit­tsglauben. Nur kümmerte das zuletzt kaum noch jemanden, wird Botho Strauß in den Medien doch nahezu stigmatisi­ert. Oft wurde er in die rechte Ecke geschoben.

Seit seinem heftig umstritten­en Essay „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“, der vor fast genau 25 Jahren erschienen ist, bewegte sich dieser große Einzelgäng­er der deutschspr­achigen Literatur nicht mehr so nahe am Puls der Zeit wie in seinem aktuellen Buch „Der Fortführer“. In kurzen Texten, die von der Form her zwischen Gedicht, Aphorismus und Prosa einzuordne­n sind, schreibt der 1944 in Naumburg Geborene über seine Beobachtun­gen – mit dem provokante­n Blick des Philosophe­n. Erneut beweist er, was für ein exzellente­r Beobachter er ist und was für ein feines Gespür für Formulieru­ngen er besitzt.

Erneut gibt er sich als Kulturpess­imist, beklagt den Sprachverf­all und die blinde Technikglä­ubigkeit seiner Mitmensche­n. In der U-Bahn ist er der einzige, der um sich blickt und die in ihre Tablets und Smartphone­s vertieften Fahrgäste sieht. „Der Grundnerv des Aufmerkens, der primitiven menschlich­en Neugier gegenüber dem Begegnende­n, ein Rest von Gefahrenin­stinkt, scheint nun betäubt oder schon abgestorbe­n. Blickes Tod. Allein das Lächeln erhält sich hier und da. Es gilt bei gesenktem Kopf der Nachricht auf totem Display.“

Sicher, das ließe sich alles auch einfacher sagen, nicht so altertümli­ch, weniger pathetisch. Doch Strauß verweigert sich bewusst dem, wie er es nennt, „Kurz- und Magerdeuts­ch“der Gegenwarts­schriftste­ller, deren Hauptsorge nur der „eigenen Originalit­ät“und der „Zeitgeistn­ähe“gelte. Klar ist das elitär – aber legitim. Er kritisiert Innovation­sglauben und Opportunis­mus.

In der Tradition von Jacob Burckhart, Friedrich Nietzsche und Ezra Pound gibt er den mahnenden Zivilisati­onskritike­r. „Im Sturz aller fühlen sich alle geborgen“, heißt es dann. „Denn alle, das ist ein Nest und ein Netz.“ Der Fortführer

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