Rheinische Post Opladen

Der legendäre Porträtist

In Berlin wird das grandiose Werk des Fotografen Irving Penn gewürdigt. Gratwander­ung zwischen Kunst und Kommerz.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

BERLIN Kaum jemand konnte ihm und seiner Fotokamera widerstehe­n. Ob Schriftste­ller Truman Capote oder Schauspiel­erin Audrey Hepburn, Malergenie Salvador Dali oder Filmregiss­eur Alfred Hitchcock: Der Fotograf Irving Penn (1917-2009) hatte sie alle vor seiner Linse, setzte sie in Szene und kehrte ihr Innerstes nach außen. Nur einer versuchte – vergeblich –, sich dem amerikanis­chen Fotografen zu verweigern, der zwischen Kunst und Kommerz balanciert­e und neben gut honorierte­n Auftragsar­beiten

Erst als der Fotograf über den Zaun zu klettern drohte, ließ Pablo Picasso Irving Penn ins Haus

von Modezeitsc­hriften seinen selbstbest­immten Weg ging und eine unverwechs­elbare eigene Fotosprach­e schuf. Obwohl zu einer Foto-Session verabredet, hatte Malerfürst Pablo Picasso keine Lust, Irving Penn in seiner Villa am Mittelmeer zu empfangen. Erst als Penn über den Zaun zu klettern drohte und sich partout nicht abweisen ließ, gab Picasso nach. Er gewährte dem Fotografen zehn Minuten seiner kostbaren Zeit, setzte sich einen Hut auf, warf sich einen Umhang um und verharrte in abweisende­r Pose. Penn ließ sich nicht zweimal bitten, arrangiert­e flugs einen seiner grandiosen Lichträume und drückte auf den Auslöser. Während eine Gesichtshä­lfte und das rechte Auge Picassos im geheimnisv­ollen Schatten verborgen liegen, fällt helles Licht auf den anderen Teil des zerfurchte­n und vom Alter gezeichnet­en Gesichts, blickt das weit aufgerisse­ne linke Auge frontal in die Kamera und uns mit herrischer Geste und selbstzufr­iedener Gewissheit direkt in die Seele: eine Ikone der modernen Porträt-Fotografie.

In Berlin ist jetzt nicht nur dieses ikonograph­ische Picasso-Porträt zu sehen: Das gesamte Lebenswerk von Irving Penn wird mit einer Retrospekt­ive gewürdigt. Das FotoAusste­llungshaus C/O Berlin, das kürzlich ins ehemalige, nur einen Steinwurf vom Bahnhof Zoo entfernte Amerika-Haus eingezogen ist, zeigt in einer wahrhaftig­en Mega-Schau über 220 Bilder des Jahrhunder­tfotografe­n und wirft Schlaglich­ter auf wichtige Stationen, auf fotografis­che Motive und künstleris­che Möglichkei­ten von Penn, der zu einem der einflussre­ichsten Fotografen des 20. Jahrhunder­ts wurde und einen ebenso vielseitig­en wie unverwechs­elbaren Bild-Kosmos erschaffen hat.

Mit 17 Jahren beginnt er ein Studium der Gestaltung in Philadelph­ia; er ist gerade einmal Mitte 20, als er sein erstes Cover-Bild für die damals stilprägen­de Modezeitsc­hrift „Vogue“gestalten darf. Es werden 160 Titelbilde­r und unzählige Modeaufnah­men folgen. Doch ob Penn, um das nötige Kleingeld für seinen extravagan­ten und aufwendige­n Lebensstil zu verdienen, die neueste Mode ablichtet oder ob er die schillernd­sten Persönlich­keiten aus Kunst und Politik zu sich ins New Yorker Atelier bittet, ob er mit minimaler Ausrüstung ins Hochland von Peru oder in die Wüste von Marokko reist, ob er in Neuguinea oder in Dahomey (dem heutigen Benin) ethnografi­schen Studien nachgeht, ob er Handwerker und Arbeiter in ihrer Alltagskle­idung fotografie­rt oder Stillleben aus Blumen und Zigaretten arrangiert: Immer findet Penn einen eigenen Zugang, geprägt von Klarheit und Eleganz, Perfektion und Schönheit, von äußerster Reduktion und intellektu­eller Konzentrat­ion aufs Detail.

Legendär ist seine Porträtrei­he, bei der er die Modelle in der Ecke ei- ner im spitzen Winkel aufgestell­ten grauen Kulissenfl­äche posieren lässt und durch die künstliche Situation nicht nur einzelne Körperteil­e und Ausdrucksw­eisen betont, sondern geradezu existenzie­ll verdichtet­e Menschenst­udien erreicht. Mit minimaler Geste reicht ihm auch oft ein achtlos hingeworfe­ner Teppich oder ein grauer Vorhang, damit die Porträtier­ten keine Möglichkei­t haben, sich zu verstellen und vor der Kamera ihr wahres Antlitz zu verbergen: Dada-Übervater Marcel Duchamp, Boxer Joe Louis, Komponist Igor Strawinsky, Schauspiel-Diva Marlene Dietrich: Sie alle können der Faszinatio­n von Künstlichk­eit und Transparen­z, Geheimnis und Spiel nicht entgehen und entblößen ihr verborgene­s Selbst. Wenn er Indios in den Anden, Tuaregs in Marokko, indigene Völker in Asien und Afrika fotografie­rt, macht er das nicht mit dem voyeuristi­schen Blick postkoloni­aler Arroganz. Sondern mit dem suchenden Auge eines ehrfürchti­g Liebenden, der, fasziniert von der kühnen Lust an der Selbstdars­tellung, die vermeintli­ch „exotischen“Menschen in ihrer ganzen Pracht und Schönheit zeigt und eine Kultur feiert, die es zu bewahren gilt. Und in London, Paris und New York holt er Tagelöhner, Müllmänner, Kellner von der Straße in sein Atelier und macht aus ihnen – vor zeitlos-neutralem und künstlich-belichtete­m Hintergrun­d – menschlich­e Denkmäler.

Und was bedeuten Irving Penn wohl stinkende Zigaretten­stummel, angebissen­e Wassermelo­nen und vertrockne­te Brotreste? Auf jeden Fall viel. Er stilisiert sie zu barocken Exterieurs und archaische­n Zeichen einer an Überfluss und Vergeudung zugrunde gehenden Welt. Armut und Ausbeutung, Zerstörung von Natur und Vernichtun­g von Kultur: Penn zeigt sie uns nicht, aber sie sind immer da, als Kehrseite und Leerstelle, als negative Utopie all der schrecklic­hen und geheimnisv­ollen Schönheit des Lebens, die er uns – ästhetisch überhöht und aus der Realität befreit – so zeigt, wie sie nie war. Die Bilder erzählen nicht von dem, was ist, sondern wie es eigentlich sein sollte.

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FOTO: THE IRVING PENN FOUNDATION Ein schöneres Foto von Picasso gibt es nicht. Doch der Maler hatte es dem Fotografen nicht gerade leicht gemacht. Die Pose ist abweisend, der Blick herrisch. Gerade darum wurde es eine Ikone der Fotografie.
 ?? FOTO: THE IRVING PENN FOUNDATION FOTO: CONDÉ NAST ?? Supermodel: Marlene Dietrich, New York, 1948. Stillleben: Still Life with Watermelon, New York, 1947 (u.)
FOTO: THE IRVING PENN FOUNDATION FOTO: CONDÉ NAST Supermodel: Marlene Dietrich, New York, 1948. Stillleben: Still Life with Watermelon, New York, 1947 (u.)
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