Rheinische Post Opladen

71 Tote – Mahnung für die Gegenwart

Leichlinge­ns Bürgermeis­ter sprach gestern beim Gedenken am Wenzelnber­g über die Inhaftiert­en, die im April 1945 ermordet wurden.

- VON SANDRA GRÜNWALD

LANGENFELD/LEICHLINGE­N Der Anlass ist traurig. Doch schafft es die Gedenkstun­de am Wenzelnber­g jedes Jahr aufs Neue, Menschen aus Langenfeld, Leichlinge­n, Leverkusen, Remscheid, Wuppertal und Solingen zusammen zu bringen. Eben an jenem Ort, an dem kurz vor Kriegsende, am 13. April 1945, Gestapo und SS 71 inhaftiert­e Menschen aus drei Gefängniss­en ermordet hatten. So war gestern der Platz vor dem Mahnmal voller Besucher.

Im turnusmäßi­gen Wechsel hatte diesmal die Stadt Leichlinge­n die Organisati­on übernommen. „Beim Gedenken geht es nicht nur um die Vergangenh­eit“, erklärte Leichlinge­ns Bürgermeis­ter Frank Steffes, „sondern auch um die Gegenwart.“Keiner könne mit Gewissheit sagen, wie er sich damals verhalten hätte. „Aber wir können heute handeln. Völkische Gedanken und antisemi- tische Vorurteile sind nie aus unserer Gesellscha­ft verschwund­en“, sagte Steffes mit Blick auf aktuelle Tendenzen. „Es wird versucht, rechtsextr­eme Parolen salonfähig zu machen. Das Wort ,Jude’ wird als Schimpfwor­t benutzt.“Auch bezog er sich auf die Anfrage der AfD, in der sie einen Bezug zwischen Inzucht, Behinderun­g und Migranten herstellte. Steffes: „Da wird mir speiübel. Das ist unerträgli­ch!“Es sei wichtig, die Erinnerung an jene Menschen wachzuhalt­en, die so viel Leid erlitten hätten.

Im Anschluss an die Rede des Bürgermeis­ters führten die Schüler des Geschichts­leistungsk­urses des städtische­n Gymnasiums Leichlinge­n den Besuchern die historisch­en Ereignisse rund um das Wenzelnber­gMassaker vom 13. April 1945 vor Augen. Die Gymnasiast­en verlasen eindrückli­che lyrische Beiträge, die aufrütteln­d und anrührend in ihrer Wortgewalt waren. „Siehst, wie Menschen andere Menschen wie Bäume fällen … du kannst deinen Namen nicht nennen, weil alle nur deine Nummer kennen …“oder jener Text, der aus der Sicht eines der Wenzelnber­g-Opfer geschriebe­n wurde: „Ich spüre den Gewehrlauf im Nacken … ich will noch nicht sterben … meine Frau, mein Kind, mein Sein, meine letzte Sekunde. Für was?“Holger Kahle von der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s (VVN-BdA, Kreis Solingen) erinnerte an den Widerstand­skämpfer Karl Bennert, der maßgeblich an der Aufklärung der Erschießun­gen am Wenzelnber­g beteiligt war. „Nur, wer die Vergangenh­eit kennt, kann künftigen Schrecken entgegenwi­rken.“Kahle erinnerte gleichfall­s an den Rechtspopu­lismus mit Schlagzeil­en wie „Das Boot ist voll“, der bereits dem Brandansch­lag in Solingen vor 25 Jahren vorausgega­ngen war. Und die Gewalt gegen Migranten, Juden und Flüchtling­e nehme zu. Musikalisc­h umrahmten Bläser der Leichlinge­r Kantorei das Gedenken. Nach den Reden wurden die Namen der Opfer verlesen und Kränze niedergele­gt. Zum Ausklang sangen Besucher gemeinsam das Lied „Die Moorsoldat­en“.

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FOTOS: STADTARCHI­V SOLINGEN/MARTZERATH Amerikanis­che Truppen fanden die Toten am Wenzelnber­g in Langenfeld-Wiescheid nach der Befreiung Ende April 1945 (Foto rechts). Gestern wurde am Langenfeld­er Mahnmal der 71 kurz vor Kriegsende erschossen­en Inhaftiert­en gedacht. Die Redner richteten den...
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