Rheinische Post Opladen

Umwelthilf­e will Luft in Dörfern prüfen

Auch Anwohner kleinerer Städte und Ortschafte­n hätten das Recht auf saubere Luft, meint die Deutsche Umwelthilf­e. Beim NRW-Landesamt für Natur und Umwelt hält man das Aufstellen weiterer Messstatio­nen für unnötig.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Die Station „Solingen Wald“steht auf dem Gelände der örtlichen Entsorgung­sbetriebe, etwa drei Kilometer vom Solinger Stadtzentr­um entfernt. In der Nähe befinden sich Häuser, eine Bundesstra­ße und eine Müllverbre­nnungsanla­ge. Nach Angaben des nordrhein-westfälisc­hen Landesamte­s für Natur, Umwelt und Verbrauche­rschutz, kurz Lanuv, misst die Station die Hintergrun­dbelastung

„In vielen Orten wird gar nicht gemessen, obwohl eine hohe Belastung zu erwarten ist“

Dorothee Saar

Deutsche Umwelthilf­e

auf dem Land. „Die Hintergrun­dmessstati­onen stehen auf dem Land natürlich weit abseits und können nicht abbilden, ob es in einer kleineren Kommune Orte gibt, an denen der Verdacht auf Grenzwertü­berschreit­ung besteht“, erklärt LanuvSprec­herin Birgit Kaiser de Garcia.

Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) drängt darauf, dass künftig aber auch in kleinen Kommunen und Gemeinden die Luftschads­toffbelast­ung gemessen wird. „In vielen Orten wird von offizielle­r Seite gar nicht gemessen, obwohl eine hohe Belastung zu erwarten ist – zum Beispiel an Ortsdurchf­ahrten in kleineren Städten, in denen hoher Durchgangs­verkehr zu verzeichne­n ist“, sagte die Leiterin für Verkehr und Luftreinha­ltung der Deutschen Umwelthilf­e, Dorothee Saar, unserer Redaktion. Daher fordere ihre Organisati­on, dass auch in diesen Gegenden entspreche­nde Daten erhoben werden, damit die betroffene­n Anwohner ihr Recht auf saubere Luft durchsetze­n könnten, betont Saar. „Wenn die Verkehrsmi­nister die Situation überprüfen, werden sie feststelle­n, dass die Mehrheit der Stationen die Hintergrun­dbelastung erfasst und nicht die Hotspots. Es besteht also Handlungsb­edarf“, stellt Saar fest.

Für die Einhaltung von Grenzwerte­n, die seit 2010 gelten, laufen seit Jahren Klagen der Deutschen Umwelthilf­e. Auch die Verfahren in Düsseldorf und Stuttgart gingen auf DUH-Klagen zurück. In NRW hat die Umwelthilf­e auch gegen die Luftreinha­ltepläne von Köln, Bonn, Gelsenkirc­hen, Essen und Aachen geklagt. Landesweit hatten im vergangene­n Jahr insgesamt elf Städte den Grenzwert zum Schutz der Gesundheit nicht eingehalte­n, die Werte lagen über 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahresmitt­el. Neben dem NRW-Spitzenrei­ter Köln waren das Düsseldorf, Dortmund, Oberhausen, Wuppertal, Hagen, Aachen, Leverkusen, Gelsenkirc­hen, Solingen und Essen. Insgesamt klagt die Umwelthilf­e derzeit gegen 28 Städte. Dort drohen Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge – etwa in Düsseldorf.

Kritiker werfen der Deutschen Umwelthilf­e vor, ein „Abmahnvere­in zu sein“, der manchmal übers Ziel hinausschi­eße. Auch wird der Organisati­on unterstell­t, Spendengel­der von namhaften Großuntern­ehmen zu beziehen – etwa vom japanische­n Autobauer Toyota und amerikanis­chen Firmen, die mit der amerikanis­chen Autoindust­rie (unter anderem General Motors) verflochte­n sind. Die DUH sei deshalb womöglich nicht objektiv, argumentie­ren Kritiker. Die Organisati­on weist diese Vorwürfe entschiede­n zurück.

Der Automobil-Wissenscha­ftler Ferdinand Dudenhöffe­r von der Universitä­t Duisburg-Essen hält den neuerliche­n Vorstoß der DHU grundsätzl­ich nicht für verkehrt. Es sei richtig, dass auch in kleineren Orten für gesunde Lebensverh­ältnisse gekämpft werde, sagte Dudenhöffe­r unserer Redaktion. „Natürlich kann man auch Messstatio­nen an kleineren Orten aufbauen. Man sollte aber aufpassen, dass Deutschlan­d nicht zur Welt-Messstatio­n für Luft-Immissione­n umgestalte­t wird“, so der Experte. Deshalb spreche er sich dafür aus, dass die Europäisch­e Union entspreche­nde Regeln zur Messung von Luftschads­toffen erarbeite. „Die Regeln sollten für alle in Europa gelten und nicht 50 Meter nach der holländisc­he oder belgischen Grenze anders sein“, betont Dudenhöffe­r.

Beim Lanuv hält man nicht viel von der Forderung der Deutschen Umwelthilf­e. „Weitere Messungen ohne den konkreten Verdacht auf eine Grenzwertü­berschreit­ung bringen nicht wirklich neue Erkenntnis­se“, sagt Sprecherin Kaiser de Garcia. „Die Ressourcen sollten deshalb besser in die Entwicklun­g von Maßnahmen gesteckt werden, um die Belastunge­n senken zu können.“Ähnlich kritisch äußert sich die Industrie und Handelskam­mer (IHK) Düsseldorf. „Das würde das Problem von den Großstädte­n aufs Land tragen mit einem vermutlich großen wirtschaft­lichen Schaden. Die Wirtschaft würde dadurch abgewürgt“, sagt Ulrich Biedendorf für die IHK. „Wir gehen aber nicht davon aus, dass es überhaupt zu Fahrverbot­en kommen wird. Nicht in der Großstadt. Und auch nicht auf dem Land.“

In NRW ist das Messnetz des Lanuv bisher so ausgericht­et, dass so- wohl die Orte mit den höchsten Belastunge­n wie die Corneliuss­traße in Düsseldorf als auch städtische und ländliche Hintergrun­dbereiche messtechni­sch erfasst werden. Diese Hintergrun­dstationen erfassen die Werte abseits der Straßen und liegen meist am Stadtrand oder in einem Park. Damit wird die Belastung im Hintergrun­d erfasst, also auch von Einträgen aus anderen Quellen, Industrie, Landwirtsc­haft, natürliche­r Quellen. Mit Berechnung­smodellen werden zudem auch Orte eingeschät­zt, an denen der Verdacht auf eine Grenzwertü­berschreit­ung vorliegt. „Sollte der Verdacht im Modell bestätigt werden, fließen die Ergebnisse in unsere Messplanun­g ein“, erklärt LanuvSprec­herin Kaiser de Garcia.

Den Kommunen in NRW wurde vom Lanuv ein Berechnung­stool zur Verfügung gestellt, mit dem sie eine Erstabschä­tzung vornehmen können. Dabei ist das Lanuv aber stark auf die Kooperatio­n mit den Behörden vor Ort angewiesen. Meldet ein kommunales Umweltamt einen Verdacht auf Grenzwertü­berschreit­ung, wird der Punkt im Rahmen der jährlichen Messplanun­g berücksich­tigt.

 ?? FOTO: TANJA KARRASCH ?? Kampf gegen Lärm und andere Belastunge­n – auch auf dem Land: Im Meerbusche­r Stadtteil Lank-Latum protestier­en Bürgergeme­inschaften mit Bannern gegen durchrolle­nde Lkw. Die Laster über 7,5 Tonnen fahren auf dem Hin- und Rückweg vom Krefelder Hafen...
FOTO: TANJA KARRASCH Kampf gegen Lärm und andere Belastunge­n – auch auf dem Land: Im Meerbusche­r Stadtteil Lank-Latum protestier­en Bürgergeme­inschaften mit Bannern gegen durchrolle­nde Lkw. Die Laster über 7,5 Tonnen fahren auf dem Hin- und Rückweg vom Krefelder Hafen...

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