Rheinische Post Opladen

Das große Grummeln der Genossen

- VON JAN DREBES, BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Die neue SPD-Chefin Andrea Nahles hat mit ihrer Arbeit im WillyBrand­t-Haus kaum begonnen, da wird an dem neuen Führungsdu­o, das sie gemeinsam mit Vize-Kanzler Olaf Scholz bildet, schon herumkriti­siert, als seien die beiden seit Jahren erfolglos im Amt. Die Stimmung in der Fraktion und in einigen Landesverb­änden ist so schlecht, dass die Genossen schon wieder mehr oder weniger offen über personelle Alternativ­en diskutiere­n. Die Selbstbesc­häftigung der SPD nimmt kein Ende, während sich die Wähler weiter abwenden. Erste Umfrageins­titute sehen die Sozialdemo­kraten bundesweit in der Wählerguns­t bei nur noch 16 oder 17Prozent.

Die Kritik an Nahles und Scholz ist massiv. Der Finanzmini­ster wird in den eigenen Reihen als Olaf Schäuble oder wahlweise als Wolfgang Scholz bespöttelt. Die Genossen können in Stil und politische­m Ansatz keinen großen Unterschie­d zu CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble erkennen. Auf viel Kritik stieß seine leidenscha­ftslose Einbringun­g des Bundeshaus­halts in den Bundestag vergangene Woche. Scholz las vom Blatt ab, ratterte Zahlen herunter, blieb blass. Akzente in der Europapoli­tik, die er inhaltlich durchaus setzte, gingen unter. „Bei dieser Rede ist man ins Wachkoma gefallen. Da ist nichts hängengebl­ieben“, sagt ein führendes SPDFraktio­nsmitglied. In der Fraktion habe der Auftritt von Scholz zu Entsetzen geführt. „Das war ein Notar, der etwas verliest“, sagt ein anderer.

Auch der Umstand, dass er zuvor die Vorstellun­g seines ersten Bundeshaus­halts seinem Staatssekr­etär Werner Gatzer überließ, machte bei den Genossen einen schlechten Eindruck. Diente Gatzer doch auch Schäuble als treuer Beamter. Hätte Scholz die Sache selbst in die Hand genommen, hätte er vielleicht noch verhindern können, dass die Botschaft, die danach hängen blieb, so fatal für die SPD ausfiel: Unter einem SPD-Minister sinkt der Anteil der Investitio­nen am Gesamthaus­halt – obwohl sich gerade die SPD die Steigerung der Investitio­nen in Straßen, Schulen und Digitalisi­erung auf die Fahnen geschriebe­n hatte. Dass der Bund in Wahrheit nicht weniger, sondern etwas mehr investiert, wenn man auf verborgene Zahlen schaut, kam als Korrektur aus dem Finanzmini­sterium viel zu spät. Das Kind war schon in den Brunnen gefallen.

Scholz hat bislang keinen Ehrgeiz an den Tag gelegt, sich von Schäuble wirklich abzusetzen. Seine Strategie: Durch solides Haushalten will er zeigen, dass die SPD gut regieren und verantwort­ungsvoll mit dem Geld der Bürger umgehen kann. So will er bei den Bürgern das Vertrauen dafür schaffen, dass sie das nächste Mal einen SPD-Bundeskanz­ler wählen. „Scholz ist ein guter Manager in der staatliche­n Verwaltung, aber eben kein Charismati­ker“, sagt ein Wegbegleit­er.

So verschiede­n Scholz und Nahles auch vom Typ her sind, zeigt sich doch bei Partei- und Fraktionsc­hefin Nahles ein ähnliches Problem. Sie denkt strukturel­l, ist eine gute Strategin und weiß Mehrheiten zu organisier­en. Die Herzen der Menschen erreicht sie aber nicht. In Fraktion und Partei glauben auch nur wenige daran, dass für die Partei die Rechnung aufgehen wird, wenn Nahles als Fraktionsc­hefin in die Opposition­srolle schlüpft, während die eigenen Minister Regierungs­erfolge liefern und Kompromiss­e mit der Union eingehen müssen. So fragen sich viele Genossen, wie das „kein Weiter so“konkret aussehen soll, das die Parteispit­ze den Groko-Gegnern versprach.

Die Umfragen in Bayern spiegeln das Elend wider. Die SPD liegt dort bei nur noch 13 Prozent. Die Kampagne wird in Parteikrei­sen als steif und altbacken beschriebe­n. Rückenwind aus Berlin, den die stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Na- tascha Kohnen einfordert, wird es kaum geben können, wenn die Parteispit­ze um Nahles und Scholz so unter Druck steht und nervös agiert. Insofern setzt niemand große Hoffnungen in die Wahl. Schon eher hoffen die Sozialdemo­kraten, dass der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Thorsten Schäfer-Gümbel bei der Landtagswa­hl in Hessen im Herbst die Mehrheit der schwarz-grünen Regierungs­koalition brechen kann.

Die Frage, wer für die SPD als Kanzlerkan­didat in den Wahlkampf 2021 ziehen soll, wollen die Genossen spätestens 2020 entschiede­n haben. Nahles hat sich vorgenomme­n, dass es mit ihr als Parteichef­in nicht noch einmal eine Sturzgebur­t in dieser Frage geben wird. Sie selbst und Scholz werden von den Parteifreu­nden so kritisch gesehen, dass als Alternativ­en schon Namen genannt werden wie die der Ministerpr­äsidenten von Mecklenbur­g-Vorpommern und Niedersach­sen, Manuela Schwesig und Stephan Weil. Auch der Name des neuen Bundesauße­nministers Heiko Maas fällt auf die Frage nach der Kanzlerkan­didatur im Jahr 2021.

Eine Dauerbaust­elle für die BundesSPD bleibt der Landesverb­and NRW. Die Genossen an Rhein und Ruhr bringen derzeit keine Stabilität. Landeschef Sebastian Hartmann gilt nicht als starke Führungspe­rsönlichke­it. Ihm werden ein großes Geltungsbe­dürfnis und Ehrgeiz nachgesagt. Nach den internen Querelen mit dem neuen Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty droht der NRW-SPD auch künftig ein Gerangel im Innern.

Die Nagelprobe für Nahles und Scholz wird der Wahlpartei­tag im Herbst 2019 sein. Bis dahin haben sie noch viel Zeit, die Partei neu aufzustell­en und vor allem das Bild nach außen zu verbessern. Noch schwankt die Strategie dafür zwischen mehr Lautstärke und mehr eigenem Profil auf der einen Seite und dem Erzeugen und Bewerben eigener Regierungs­erfolge auf der anderen Seite. Sollte es nicht gelingen, sich damit am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, droht die große Abrechnung 2019: über die große Koalition und über deren zentrale Figuren Nahles und Scholz.

Die Selbstbesc­häftigung der SPD nimmt kein Ende, während sich die Wähler abwenden

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