Rheinische Post Opladen

Festspiele in Cannes im Zeichen der Me-Too-Debatte

- VON BARBARA SCHWEIZERH­OF

CANNES (epd) Die stärkste emotionale Reaktion ging von einer Schauspiel­erin aus, die im Wettbewerb des Filmfestiv­als von Cannes gar nicht angetreten war. Die Italieneri­n Asia Argento sollte den Darsteller­innenpreis mitvergebe­n, feuerte aber statt der üblichen Laudatio ein Statement ab: „1997 bin ich von Harvey Weinstein hier in Cannes vergewalti­gt worden. Ich war 21 Jahre alt. Das Festival war sein Jagdrevier“, begann die zierliche Schauspiel­erin mit Furor ihre Rede. Die Zuhörer waren schockiert.

Wut und Aufregung spürte man jedem ihrer Worte an, die sie direkt an das Publikum im Palais Lumiere richtete: an die, die Weinstein lange gedeckt hätten, und an die, die für ihr verbrecher­isches Verhalten gegen Frauen noch nicht zur Verantwort­ung gezogen worden seien. „Wir werden euch nicht mehr davonkomme­n lassen“, drohte sie. Der donnernde Applaus, der darauf folgte, klang fast so, als wollte er das eben Gehörte eher übertönen als es gutheißen. Die von Argento erhobenen Vorwürfe sind seit Beginn des Weinstein-Skandals bekannt und werden vom Angeklagte­n bestritten, trotzdem wirkte die Anspannung nach dem Auftritt lange nach: Die Vergabe der Palmen verlief wie in gedämpften Tönen.

Die höchste Auszeichnu­ng des Festivals ging an den Japaner Hirokazu Kore-eda für sein Familiendr­ama „Shoplifter­s“. Die meisten freuten sich über den Preis für einen der am besten besprochen­en Filme des Festivals, dessen Regisseur wegen seiner verhaltene­n, fein ausdiffere­nzierten Handschrif­t allzu oft schon übergangen wurde.

Trotzdem stand auch das Gefühl einer vertanen Chance im Raum – schließlic­h hätte eine Goldene Palme für eine Frau als Signal gegolten. Doch angesichts der immer wieder beschworen­en Erwartunge­n in diese Richtung, war der Jury, um Eigenständ­igkeit zu beweisen, fast nichts anderes übriggebli­eben, als von den Vorhersage­n abzuweiche­n. Beide Darsteller­preise gingen an Außenseite­r: an die Kasachin Samal Yeslyamova in „Ayka“und an den Italiener Marcello Fonte für „Dogman“. Bester Regisseur wurde der Pole Pawel Pawlikowsk­i für seine Liebesgesc­hichte „Cold War“. Altmeister Jean-Luc Godard (87) bekam einen Sonderprei­s für sein Videoessay „Le livre d’image“.

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