Rheinische Post Opladen

Der große Jupp ist wieder Rentner

Trainer Heynckes geht mit einem 1:3 im Pokalfinal­e. Aber er sagt: „Zum Sportlerle­ben gehören Siege und Niederlage­n.“

- VON ROBERT PETERS

BERLIN Es ist 22.02 Uhr am Samstag vor Pfingsten, und Jupp Heynckes ist zum zweiten Mal in seinem Leben Rentner. 100 Meter entfernt tobt in der Frankfurte­r Fankurve die Pokalparty, und Heynckes, der Coach von Bayern München, steht ein bisschen einsam im Berliner Olympiasta­dion. Mit 1:3 hat sein Team das letzte Spiel des Trainers verloren. Der Blick des 73-Jährigen geht minutenlan­g ins Irgendwo. Als er gefragt wird, was ihm da durch den Kopf gegangen ist, sagt er: „Ich habe nicht so viele Gedanken gehabt, ich brauche erst mal Abstand.“

Abstand wird er bekommen, weil sein achtmonati­ger Dienst bei den Bayern, den er seinem Freund Uli Hoeneß zuliebe angetreten hat, nun zu Ende ist. Er hat aus einer Mannschaft, die in der Bundesliga fünf Punkte Rückstand auf die Tabellensp­itze hatte, den deutschen Meister gemacht, der mit sattem Vorsprung von 21 Punkten durchs Ziel ging. Er stand mal wieder im ChampionsL­eague-Halbfinale und im DFB-Pokalfinal­e. Er darf sich zurechnen, mit seinem Feingefühl für den menschlich­en Umgang miteinande­r die Münchner vor der ersten schweren Krise seit 2009 bewahrt zu haben.

Und jetzt freut er sich auf die Rückkehr auf seinen Hof im Schwalmtal­er Ortsteil Fischeln, auf seine Familie, Ruhe, seine Tiere, Spaziergän­ge mit dem Schäferhun­d Cando, der inzwischen beinahe so berühmt ist wie sein Herrchen. Die Freude sieht man Heynckes allerdings nicht an. Es ist ein nachdenkli­cher Mann, der da auf dem Rasen steht, ein bisschen traurig sogar, vielleicht auch müde. Im Medienraum des Stadions sagt er: „Mit 73 weiß man ja nicht, wie lange man noch hat. Da möchte ich mein Leben noch ein bisschen genießen.“

Da kann jeder hören und sehen, wie viel Kraft diese acht Monate doch gekostet haben. „Diesen Job“, erklärt Heynckes, „kann man nur hochprofes­sionell machen.“Von der schönen Stadt München habe er in all der Zeit „gar nichts gehabt“. Das hat sein Ehrgeiz nicht zugelassen. Wenn Heynckes etwas macht, dann mit voller Kraft und großem Anspruch an sich und sein Umfeld.

So ist er als Trainer, und so war er als Spieler, ein unersättli­cher Torjäger, der beste, den Borussia Mönchengla­dbach je hatte. 168 seiner 220 Bundesliga­tore schoss er für den Klub in den goldenen 1970er Jahren, als sich Gladbach und Bayern ein Wettrennen um die Titel lieferten. Vier von fünf deutschen Meistersch­aften gewann Heynckes mit der Borussia. Die erste verpasste er, weil er ein mittelpräc­htiges Gastspiel bei Hannover 96 gab. Der für seine Sparsamkei­t berüchtigt­e Gladbacher Manager Helmut Grashoff hatte ein Angebot unterbreit­et, das nicht erstligare­if war. Das wird niemand über Heynckes sagen können. Er prägte den Gladbacher Fußball, er wurde Welt- und Europa- meister. Und er war ein Stürmer, der überall auf dem Platz vorkam. Er war auf den Flügeln ebenso zu Hause wie im Kombinatio­nsspiel und im Strafraum. Heute würde man sagen: „Ein kompletter Fußballer.“

Er war lernwillig und wollte hoch hinaus. Das hat mit seiner Kindheit zu tun. Jupp Heynckes wuchs als neuntes von zehn Kindern eines Schmieds im Gladbacher Stadtteil Holt auf. Natürlich hatte es die Familie nicht leicht. Bis heute, sagt er, „bewundere ich meine Mutter, die einen kleinen Lebensmitt­elladen hatte und uns durch die schwierige­n Nachkriegs­jahre gebracht hat“. Er lernte, dass Arbeitstei­lung zum Zusammenle­ben gehört. Dieses Wissen hat er sich bewahrt. Und es ist deshalb ganz typisch für ihn, dass er das Verdienst am „überragend­en Fußball, den wir fast die gesamte Saison gespielt haben“, teilt. „Das zeichnet Mannschaft, Trainertea­m und Funktionst­eam aus“, sagt er.

Selbstvers­tändlich ist dieses Denken auch ein Ergebnis eines langen Trainerleb­ens. Als junger Cheftraine­r von 34 Jahren bei seiner Borussia war Heynckes noch nicht der gelassene Weltmann, der sein Lebenswerk im hohen Alter von 68 Jahren mit dem Triple aus Champions-League-Gewinn, Pokalsieg und Meistersch­aft krönen sollte. Er war misstrauis­cher als heute und längst nicht so selbstbewu­sst. Trotz seiner Erfolge mit Gladbach, das er in der Spitzengru­ppe der Bundesliga etablierte, begleitete ihn bei seinem ersten Engagement in München die Unsi- cherheit. Es gibt diese Bilder aus den späten 80er Jahren, die einen scheuen Mann zeigen, dessen Augen in der Öffentlich­keit wild flackern. „Ich war vielleicht noch nicht reif für den großen FC Bayern“, meint Heynckes. In einer ersten Krise musste er gehen. Ausgerechn­et sein Freund Hoeneß gab ihm den Laufpass. Hoeneß hat diese Aktion mehrmals „den größten Fehler meiner Sportlerla­ufbahn“genannt.

Möglicherw­eise aber ist dieser Moment im Herbst 1991 der Start in die ganz große Trainerkar­riere. Sie begann im Ausland. Die Außenseite­rteams von Athletic Bilbao und CD Teneriffa führte er in den internatio­nalen Fußball, mit Real Madrid gewann er die Champions League. Dass er dort dennoch entlassen wurde, verlieh ihm einen zusätzlich­en Schuss Gelassenhe­it. Es sagte ihm, dass es selbst dann an Anerkennun­g mangeln kann, wenn einer alles richtig macht.

Es gab weitere Rückschläg­e. Bei Schalke 04 wurde er ebenso wenig glücklich wie beim zweiten Mal in Mönchengla­dbach. Da hatte er zu sehr auf sein Herz gehört und eine Mannschaft übernommen, mit deren Zusammenst­ellung er gar nichts zu tun hatte. Er scheiterte.

Während Altersgeno­ssen in den Ruhestand wechselten, kam Heynckes zurück. Hoeneß holte ihn für die Schlusspha­se der Saison 2008/ 09, und Heynckes räumte die Trümmer weg, die sein Vorgänger Jürgen Klinsmann in seiner Renovierun­gswut hinterlass­en hatte. Heynckes bekam wieder große Lust auf den Trainerber­uf, und er führte Bayer Leverkusen in die Champions League – unter anderem, weil er dem von Bayern München ausgeliehe­nen Toni Kroos in hingebungs­voller Detailarbe­it zu einer Weltklasse­Karriere verhalf. Die Bayern sahen es mit Wohlgefall­en und verpflicht­eten den vermeintli­chen Pensionär zum dritten Mal. Gemeinsam erlebten sie nicht nur die Krönung durch das Triple 2013, sondern auch das Jahr 2012 mit zwei Finalniede­rlagen (Champions League und Pokal) und der Vizemeiste­rschaft.

Heynckes hat schmerzhaf­te Momente verkraftet. In Berlin sagt er: „Zu einem Sportlerle­ben gehören Siege und Niederlage­n. In der Niederlage muss man das Spiel des Gegners anerkennen.“Das tut er, als er seinem Kollegen und Nachfolger Niko Kovac „zu dem verdienten Sieg“gratuliert. Da ist er ganz der Mann, zu dessen Prinzipien gehört: „Man muss bescheiden bleiben.“

Vor einem Schuss Wehmut schützt das nicht. In der Nacht nach dem Pokalfinal­e hält Bayerns Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge einen Fanschal hoch, auf dem „Jupp, Jupp, Jupp“steht. Und die Edelfans spenden lauten Beifall. Heynckes steht gerührt dabei und will am liebsten schnell woanders hin. Aber auch das übersteht er.

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FOTOS: REUTERS, IMAGO, WEREK, CONTRASTPH­OTO Bayerns Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge stimmt den Jubelchor an, Jupp Heynckes nimmt es gerührt zur Kenntnis.
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1987: Der junge Jupp Heynckes auf der Bayern-Bank.

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