Die alte Mühle war auch Waffenschmiede und Tuchfabrik
LEICHLINGEN Im ganzen Bundesgebiet öffneten gestern alte Mühlen ihre meist eisernen, schweren Pforten und ließen interessierte Menschen ins Innere. Auch die Spinnerei auf dem rund fünf Hektar großen Gebiet, auf dem sich der Sinneswald in Leichlingen erstreckt, eröffnete Besuchern Einblicke.
Zugegeben, viel gibt es in dem alten Gemäuer nicht mehr zu sehen. Es ist mehr der Geist längst vergangener Zeiten, der die Gäste in die alten Mauern zieht. Rund 50 Menschen hatten schon weit vor Mittag Schutz unter den großen Sonnenschirmen gesucht. Da kam es manchem gelegen, dass wenig später plötzlich Bewegung aufkam – und Wolfgang Brudes die Besucher in den kühleren Bauch der Mühle führte.
Gespannt stiegen die Menschen eine steile steinige Treppe hinunter in das aus Bruchstein bestehende Gebäude, das mittlerweile als Raum für große Veranstaltungen genutzt wird. Wenn es Jemanden gibt, der den damaligen Zeitgeist einfangen und wiedergeben kann, ist es Brudes. Der hatte ja schließlich zusammen mit Partnerin Wicze Braun den Sinneswald gegründet und das Mühlenhaus restaurieren lassen.
„Es sind verschiedene Nutzungen der Mühle hier bekannt“, sagte der 82-Jährige. Darunter falle zum Beispiel eine Harnischpoliererei. Dort sorgten Arbeiter gewissenhaft dafür, dass die Rüstungen der Ritter glänzten. „Man wollte seine Feinde damit blenden“, erklärte Brudes. Außer- dem sollen in der Mühle, deren Wurzeln bis weit ins 14. Jahrhundert zurückführen, eine Schalenschneiderei sowie später eine Drahtzieherei untergebracht worden sein.
Mit dem Kauf durch den ehemaligen Bürgermeister der Stadt Leichlingen, Eduard Pilgram, im Jahr 1855 nahm die Industrialisierung im Bergischen Formen an. Der Tuchfabrikant baute die Spinnerei, in der das Mühlrad im Inneren liegende und bis zu fünf Meter lange Kurbelwellen antrieb. Die wiederum bewegten die Maschinen. „Strom gab es erst ab Ende des 19. Jahrhunderts – man hatte also nichts anderes als Wind und Wasser“, sagte Brudes.
Dafür wurde der Murbach nur für die kleine Fabrik, in der geschätzt acht bis zehn Arbeiter beschäftigt waren, umgeleitet. Durch einen Tunnel fand nach dem Rad die Rückführung zum Bach statt. „Der große Teich hier auf dem Gelände gehörte auch dazu. Im Sommer führte der Murbach wenig Wasser – der Teich diente dann als Wasserdepot“, erklärte Brudes.
Hartwig Schumacher war mit seinem vierjährigen Sohn in das alte Gemäuer hinuntergestiegen. Warum aber üben Mühlen eine solche Faszination auf so viele Menschen aus? „Die Erinnerung an das Leben früher. Und dass es sehr schwer war – vor allem im Bergischen“, vermutete Schumacher. Und vielleicht konnte ja sein Sohn etwas lernen. „Dass er sieht, dass Strom und die digitale Welt, die auch auf ihn immer näher zukommt, gar nicht selbstverständlich sind – wir sind total abhängig von Strom“, betonte der Vater.