Rheinische Post Opladen

Trumps Anschlag auf die Weltordnun­g

- VON FRANK HERRMANN

Was bleibt noch? Was wird noch übrig sein von der „amerikanis­chen“Weltordnun­g, wenn Donald Trump die Abrissbirn­e erst richtig zum Schwingen bringt? Was, wenn sein Zerstörung­swerk nicht schon nach vier Jahren beendet ist, sondern er sich ihm, im Herbst 2020 womöglich wiedergewä­hlt, in einer zweiten Amtszeit erst recht mit voller Kraft widmet?

Bremsfakto­ren, die den US-Präsidente­n hemmten, sobald er seiner wuchtigen Polemik Taten folgen lassen wollte, gibt es seit diesem Frühjahr nicht mehr. Im Weißen Haus ist er fast nur noch von Ratgebern umgeben, die ihn eher bestärken in seinen zerstöreri­schen Instinkten, sei es der Hardliner John Bolton an der Spitze des Nationalen Sicherheit­srats oder der Protektion­ist Peter Navarro als Spiritus Rector im Kreis seiner Wirtschaft­sberater. Es fühlt sich an wie eine Zeitenwend­e, zumal Trump ernst macht. Mit Importzöll­en, erst auf Stahl und Aluminium, womöglich bald auch auf Autos. Mit dem Abschied vom Iran-Abkommen, der wie sonst nichts jenes „America alone“symbolisie­rt, auf das sein „America first“in der Praxis häufig hinauszula­ufen scheint.

Trump tut, was er im Wahlkampf angekündig­t hat. Unbeirrt, mit diebischer Freude an der Konfrontat­ion. Konnte man auf Kampagnenb­ühnen noch den Eindruck gewinnen, als hätte er seine Botschaft nur zugeschnit­ten auf die Stimmung der Stunde, jederzeit bereit, sie später im Oval Office der Realität anzupassen, so wird nun klar: Der Mann handelt aus tiefen Überzeugun­gen, an denen sich so schnell nichts ändern wird. Er versucht tatsächlic­h, die liberale Ordnung auszuhebel­n.

Deren Grundidee, dass alle profitiere­n, wenn sie nach allgemeing­ültigen Regeln spielen, und das Wachstum des einen nicht auf Kosten des anderen gehen muss, ist in seinen Augen naives Wunschdenk­en jener politische­n Klasse, die seit 1945 bestimmt, welchen Kurs die Vereinigte­n Staaten einschlage­n. Winwin-Situatione­n hält er für eine Illusion, seine Weltsicht kennt nur Nullsummen­spiele: Wo es Gewinner gibt, muss es Verlierer geben. Zu Letzteren rechnet er sein eigenes Land, angeblich über den Tisch gezogen von schlaueren Chinesen, Mexikanern und Deutschen, während eine globalisie­rungstrunk­ene Elite in Washington, New York oder Los Angeles die nationalen Interessen verkaufte. Mancher Alliierte, allen voran Deutschlan­d, ist in seinen Augen ein Trittbrett­fahrer, der sich weigert, angemessen zu zahlen für den militärisc­hen Schutzschi­rm, unter dem es sich bequem leben lässt. Auch deshalb „America first“.

Amerika an erste Stelle zu rücken, das bedeute für Trump, sich aus all den schlechten Deals zurückzuzi­ehen, auf denen die Nachkriegs­ordnung basiere, doziert Adam Posen, Direktor des Peterson Institute for Economics, eines Thinktanks in Washington. „Wenn die USA den Rückzug aus ihrer wirtschaft­lichen Führungsro­lle fortsetzen, werden sie den Rest der Welt, wie auch sich selbst, schmerzhaf­t treffen“, schreibt Posen in der Zeitschrif­t „Foreign Affairs“. Erleide Amerika dadurch unvermeidl­ichen ökonomisch­en Schaden, werde Trumps Regierung dem Ausland die Schuld geben, „was einen sich selbst erneuernde­n Kreislauf der Wut entstehen lässt“.

Gerade der Ausstieg aus dem Iran-Abkommen bedeutete in diesem Kontext eine Zäsur. Warum, das hat Susan Rice, Sicherheit­sberaterin des Präsidente­n Barack Obama, in prägnanten Sätzen erklärt. „Kündigen die USA eine internatio­nale Abmachung auf, ohne dass jemand gegen sie verstoßen hätte, untergrabe­n wir, wie unsere Verlässlic­hkeit und unser Verantwort­ungsgefühl internatio­nal wahrgenomm­en werden.“Amerika, würden die anderen schlussfol­gern, halte sich nicht mehr an Regeln. „Künftig könnte es jeden Deal, den es schließt, aus einer Laune heraus kippen.“

Zur nüchternen Analyse gehört allerdings auch ein Blick auf die Vorgeschic­hte. Donald Trump ist nicht vom Himmel gefallen. Auch Obama, sein als Weltbürger bejubelter Vorgänger, folgte der Maxime, sich mehr auf die eigene Nation zu besinnen, statt in fernen Konfliktge­bieten die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Dass man besser Brücken in Kansas City baue als in Kerbela oder Bagdad, predigten zuerst die Demokraten, es war ihre Antwort auf die Hybris des Republikan­ers George W. Bush. Von den Europäern höhere Verteidigu­ngsausgabe­n zu verlangen, gehörte schon unter Obama zum Forderungs­katalog des Weißen Hauses. Die Verunsiche­rung, die der Terror des 11. Septembers 2001 wie auch der Aufstieg Chinas ausgelöst haben, beschränkt sich nicht auf Trumps Wähler. Um es zuzuspitze­n: In mancher Hinsicht ist Trump kein Ausreißer, sondern eine Fortsetzun­g Obamas mit anderer, sehr viel gröberer Sprache.

Schließlic­h werden Präsidents­chaftswahl­en allen Erfahrungs­werten nach dort entschiede­n, wo das Land den Anschluss an die Weltspitze längst verloren hat. Nicht an den Küsten, nicht im Silicon Valley oder in Manhattan, sondern im Rust Belt des Mittleren Westens. Vor allem dort kann sich Trump auf eine stabile Anhängersc­haft stützen, weshalb es töricht wäre, ihn mit Blick auf 2020 schon abzuschrei­ben.

Was also bleibt von der liberalen Ordnung? Trotz aller Risiken, Gerüchte über ihr Ableben seien stark übertriebe­n, meint Jake Sullivan, unter Obama Planungsdi­rektor im Außenminis­terium: „Sie kann aber nur überdauern, wenn diejenigen, die sie verteidige­n, nach vorn treten.“Vielleicht würde erst Trumps eventuelle Wiederwahl den Rest der Welt zu dem Schluss kommen lassen, dass es sich bei ihm nicht um ein Kurzzeitph­änomen handelt, sondern um die neue amerikanis­che Normalität. Erst dann, orakelt Sullivan, könnten andere, etwa Chinesen und Europäer, mehr die West- als die Osteuropäe­r, bereit sein, nach Alternativ­en zur „amerikanis­chen“Ordnung zu suchen.

Auch der bejubelte Weltbürger Obama folgte der Maxime, sich mehr auf die eigene Nation zu besinnen

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