Rheinische Post Opladen

Im Lastenaufz­ug durchs Fegefeuer

Johannes Schütz inszeniert Dantes „Göttliche Komödie“in den Katakomben des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses. Er macht aus der gewaltigen Reise durch den metaphysis­chen Kosmos des Mittelalte­rs eine eindringli­che Prozession durch unbekannte Theaterräu­me.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Der Weg hinab in die Hölle führt rechts vorbei am Raum für die „Verbrauchs­wasser-Übergabe“, durch staubige Flure, dann die Betonstufe­n hinunter ins Magazin des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses. Dort, wo sonst Bühnenbild­er und Requisiten eingelager­t sind, flackern nun Kerzen. Verlorene Seelen seufzen ihre Klageliede­r und der junge Dante, das literarisc­he Ich des größten Dichters des Mittelalte­rs, Dante Alighieri begreift allmählich, worauf er sich eingelasse­n hat. Die „Göttliche Komödie“beginnt und entpuppt sich bald als ein tragisches Stück Weltlitera­tur, eine Reise in die Abgründe des mythologis­chen Denkens einer Zeit, in der Gott noch als Strafender gedacht wurde. Und die Hölle ihre züngelnden Schatten bis in die Gegenwart der Menschen warf.

Zu Beginn der Komödie hat Dante sich verrannt, ist hineingera­ten in einen Zustand tiefer Melancholi­e. Doch da erscheint ihm sein großes Vorbild, der römische Dichter Vergil. Aus Neugier und Sehnsucht nach seiner gestorbene­n Geliebten Beatrice folgt er dem römischen Meister ins Jenseits, steigt mit ihm immer tiefer hinunter in den Trichter der Hölle. Neun Kreise des Infernos wird er durchschre­iten, im Keller des Theaters grausige Szenen erleben, um schließlic­h im Lastenaufz­ug durch das Fegefeuer zu fahren, hinauf in den Theatersaa­l des Kleinen Hauses der Düsseldorf­er Bühne am Gustaf-Gründgens-Platz. Anders als das Große Haus steckt die Kammerbühn­e noch in der Sanierung, gespielt wird also auf einer staubigen Baustelle, an einem unwirtlich­en, unwirklich­en Ort. Trotzdem wird die Inszenieru­ng von Johannes Schütz im paradiesis­chen Schlusstei­l auf der Bühne einige Poesie entfalten.

Doch erst müssen Dante und Vergil durch die Hölle. Und die Zuschauer müssen mit. Wie in einer schaurigen Prozession folgen sie den Dichtern hinunter ins Magazin des Theaters. Im Laufe des Abends werden sie sich an immer neuen Stellen in dem riesigen Kellerraum um die beiden scharen, werden miterleben, auf welche Art die Sünder, die ihnen begegnen, ihre Laster büßen.

Manche Bilder gehen an die Schmerzgre­nze. Etwa, wenn Graf Ugolino berichtet, wie er eingekerke­rt in einen Hungerturm die eigenen Kinder verspeiste. Der Bischof, der ihn einsperren ließ, liegt derweil über eine Stange geworfen, den Rücken entblößt und während der Graf spricht, kratzt er ihm Schicht um Schicht die Haut vom Rücken, stopft sie sich in den Mund. Manche Szenen kommen auch ohne Bilder aus. Etwa, wenn Dante zur Mauerschau auf ein Tor klettert und den Zuschauern berichtet, wie die Sünder dahinter von Schlangen gefoltert werden. Da reicht grelles Licht, ein paar Bohrund Schleifger­äusche – und der Horror im Kopf ist perfekt.

Eigentlich hatte der Bühnenbild­er und Regisseur Johannes Schütz, der seit 2010 auch an der Kunstakade­mie in Düsseldorf lehrt, diesen Dante in leerstehen­den Gebäuden am Düsseldorf­er Hauptbahnh­of inszeniere­n sollen. Doch dann wurde er im Theater selbst auf unbehauste Orte aufmerksam und die ergeben nun, mit präzisen Mitteln klug inszeniert, eine moderne Höllenkuli­sse. Auch die deutsche Fassung des Werks von Kirchenmus­iker Kilian Nauhaus wirkt zeitgenöss­isch. Dazu mangelt es Schütz nicht an Witz, wenn er etwa die Hauptdarst­eller Kilian Land als leidenscha­ftlich-

Bühnenbild­ner Johannes Schütz erweist sich einmal mehr als bildmächti­ger Purist

wissbegier­igen Dante und Andreas Grothgar als agilen Gefährten Vergil wie Turner eine Rolle um die Eisenstang­e vollführen lässt. Schon hat sich das Weltbild gedreht und nach dem Abstieg in den Höllentric­hter kann der Aufstieg über den Läuterungs­berg beginnen.

Schütz erweist sich einmal mehr als bildmächti­ger Purist, dem ein Aufnehmer genügt, um paradiesis­che Flüsse zu zeichnen. Zudem hat er eine geschmeidi­ge Theaterbeg­ehung geschaffen, die für die begrenzte Zuschauers­char ohne Brüche funktionie­rt. Schütz führt seine Zuschauer auf möglichst einfachen Wegen in Dantes Kosmos. Natürlich wird er dem Gehalt dieses Werks damit nicht gerecht, doch bliebe diese Weltenkomö­die sonst wohl den Kennern vorbehalte­n. Das kleine Ensemble bringt mit großer Spiellust und musikalisc­hem Können Leben in die staubige Hölle. Da fällt nicht ins Gewicht, dass es der berühmten Szene um Ehebrecher­in Francesca ein wenig an Lieblichke­it mangelt.

Am Ende gehört die Bühne ohnehin Beatrice, der Liebe und dem Licht. Alle Sünden sind vergessen, zu schön, um wahr zu sein.

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FOTO: THOMAS RABSCH Blick aus dem Lastenaufz­ug in einen Raum des Fegefeuers. Dort büßen frohe Sünder, denn sie dürfen auf Gnade hoffen. Von links: Andreas Grothgar, Karen Dahmen, Thomas Kitsche, Glenn Goltz, Kilian Land.

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