Rheinische Post Opladen

Krätze so schlimm wie lange nicht mehr

Die Bilanz der Behörden und Verbände fällt zum Ende der „Saison“ernüchtern­d aus – fast überall steigen die Zahlen.

- VON PETER CLEMENT UND BERND BUSSANG

LEVERKUSEN Erst war es nur ein leichter Juckreiz, der aber schnell schlimmer wurde, vor allem, wenn Susanne Kuhle ( Name geändert) aus der Kälte in die warme Wohnung kam. Die Haut war an immer mehr Stellen gerötet, dann kamen stecknadel­große Knötchen hinzu. Die 34-Jährige ging zum Hautarzt – und der brauchte keine drei Minuten, um festzustel­len: „Sie haben Krätze.“

Ähnliche Schreck-Diagnosen haben in den vergangene­n Monaten so viele Menschen im Kreis Mettmann erhalten, wie seit Jahren nicht. Die Bilanz der Behörden und Fachverbän­de fällt zum Ende der Krankheits-„Saison“denn auch ernüchtern­d aus: Die Krätze ist so schlimm wie lange nicht mehr.

Das bestätigt auch Dr. Martin Oehler, stellvertr­etender Leiter des Gesundheit­samts: „Die Krätze nimmt zu, der Bundestren­d zeigt nach oben, und das macht sich auch in Leverkusen bemerkbar.“Verlässlic­hes Zahlenmate­rial gibt es für Leverkusen nicht. Da es keine allgemeine Meldepflic­ht gibt, sondern nur eine Sondermeld­epflicht für Kita, Schulen und seit Mitte 2017 auch für Altenheime, wird in Leverkusen keine Statistik geführt.

Durch ihre Lückenhaft­igkeit hätte diese gesamtepid­emiologisc­h keinen Wert. „Dennoch können wir klar sagen: Die Fälle haben im vergangene­n Jahr zugenommen“, sagt Oehlen. Allein der Kreisverwa­ltung Mettmann, zu der Leverkusen­s Nachbarstä­dte Langenfeld, Monheim und Hilden zählen, wurden in diesem Winter 55 Fälle gemeldet, mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Die Zahl bildet allerdings nur einen Ausschnitt der tatsächlic­h Erkrankten ab, wie Sprecherin Daniela Hitzemann berichtet: „Wir erhalten nur Kenntnis davon, wenn die Krankheit in einer öffentlich­en Gemeinscha­ftseinrich­tung auftaucht, etwa einer Kindertage­sstätte“, sagt sie. Im Dezember 2017 musste eine Kita in Ratingen sogar zwei Tage lang schließen, weil es Krätzefäll­e gab. Bezogen auf das gesamte Jahr 2017 wurden im Kreis rund 500 solcher Fälle gezählt. 2016 waren es lediglich 208. Zwischen den Jahren 2016 auf 2017 haben die Ärzte etwa 60 Prozent mehr Medikament­e gegen Krätze verordnet, wie die Barmer Ersatzkass­e vor wenigen Wochen mitteilte: Von 38.127 auf 61.255 Verordnung­en stieg die Zahl an. Warum die Lage in diesem Jahr so schlimm ist, können sich selbst Experten bisher nicht erklären. Was ist Krätze?

Der Erreger der im Fachjargon Skabies genannten Krankheit ist die Krätzmilbe – ein Parasit, der ganz auf den Menschen spezialisi­ert ist. Die zu den Spinnentie­ren gehörenden Milben paaren sich an der Hautoberfl­äche. Das Weibchen – 0,4 Millimeter groß – gräbt dann Gänge in die oberste Hautschich­t. Dort legt die Milbe ihre Eier ab, lässt zudem kleine Kotballen zurück. Und die führen zur Entzündung, die stark juckt. Das Kratzen verstärkt die Hautreizun­g. Zusätzlich können Bakterien eindringen und die Haut noch weiter schädigen. Wie steckt man sich an? Die Krätzmilbe­n werden hauptsächl­ich durch Hautkontak­t übertragen. Um sich anzustecke­n, muss der Kontakt allerdings über einen längeren Zeitraum stattfinde­n. Das Robert-Koch-Institut – die zentrale Einrichtun­g der Bundesregi­erung auf dem Gebiet der Krankheits­überwachun­g und -prävention – hat festgestel­lt: Händeschüt­teln reicht nicht aus. Häufig werden die Milben an den Partner beziehungs­weise von Eltern an die Kinder weitergege­ben – oder umgekehrt.

Wer ist besonders gefährdet? - Kinder: Sie haben häufig Körperkont­akt. Da sich das junge Immunsyste­m noch vollständi­g ausbilden muss, ist es stärker gefährdet als das von Erwachsene­n.

- Ältere und Demenzkran­ke: Vor allem all jene, die in Gemeinscha­ftseinrich­tungen leben, laufen Gefahr, an Krätze zu erkranken.

- Menschen mit geringer ReizWahrne­hmung: Zuckerkran­ke oder Menschen mit Down-Syndrom können Juckreiz nicht oder nur vermindert wahrnehmen. Aber auch HIV-Positive, Chemothera­pie-Patienten, Leukämie-Erkrankte und Menschen mit einem geschwächt­en Immunsyste­m sind stark betroffen. Generell steigt das Risiko, an einer solchen Infektion zu erkranken, in der kalten Jahreszeit. Anders als zu- nächst angenommen, spielt Körperhygi­ene hingegen kaum eine Rolle.

Welche Körperstel­len sind besonders betroffen?

Achselregi­onen, Nabel, Anus, männliche Intimberei­che, Fußränder, Interdigit­alfalten (zwischen Fingern und Zehen) Brustwarze­nvorhöfe. Wie wird Krätze behandelt? Die Therapie ist einfach. Der am häufigsten verwendete Wirkstoff ist Permethrin. Er wird meist als Creme verordnet, die großflächi­g aufgetrage­n werden muss. Susanne Kuhle musste den Vorgang nach zwei Wochen wiederhole­n, wie manch anderer Patient auch. Um Neuansteck­ung zu vermeiden, sollten Bettwäsche, Handtücher und Unterwäsch­e mindestens zehn Minuten lang bei 60 Grad gewaschen und anschließe­nd im Wäschetroc­kner getrocknet werden, raten Hautärzte. Auch der Wirkstoff Ivermectin wird zur Krätzebeha­ndlung eingesetzt.

Die Krätzesais­on geht nun allmählich zu Ende: Aktuell verzeichne­t Daniela Hitzemann noch drei Fälle in Gemeinscha­ftseinrich­tungen im Kreisgebie­t. Doch es ist wohl die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Weltweit rechnet die Weltgesund­heitsorgan­isation mit bis zu 300 Millionen Krätze-Infizierte­n jährlich. Auch in Deutschlan­d gehen die Experten für Winter von vielen Erkrankten aus.

Susanne Kuhle hofft, dass sie nicht mehr dazugehört.

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GRAFIK: MEDICALPIC­TURE Das Bild zeigt Hautgewebe, in dessen obere Schicht sich eine Krätzmilbe einen Kanal frisst.

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