Rheinische Post Opladen

Sie ging mit Bauchschme­rzen zum Arzt. Es war Krebs. Nicht operabel

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verum. „Sie dachte zu hundert Prozent positiv, aber als der Tod näherkam, muss sie ihn auf irgendeine Art anerkannt haben, vielleicht erst in den letzten Momenten.“

Geneviève und Phil, das waren zwei, die sofort zusammenpa­ssten. Sie, die verschrobe­ne kanadische Comiczeich­nerin, er, der introverti­erte Singer/Songwriter aus der Provinz des Bundestaat­es Washington, der mit seinen Projekten The Microphone­s und Mount Eerie zu einigem Ruhm in der Szene kam. Die Kunst stand für beide über dem Erfolg. Sie heirateten 2004, auf Facebook postete Elverum einige Fotos aus dieser Zeit. Sie müssen sehr glücklich gewesen sein.

Vor drei Jahren bringt Geneviève ein Mädchen zur Welt, Agathe. Ein paar Monate danach geht sie zu einer Routineunt­ersuchung, sie hat Bauchschme­rzen. Ein Arzt diagnostiz­iert Bauchspeic­heldrüsenk­rebs, nicht operabel. Castrée beginnt eine Chemothera­pie. Die verändert sie, nicht nur äußerlich. Sie hat das Gefühl, dass sich der Krebs zwischen sie und ihre Familie geschoben hat, so sehr ist sie damit beschäftig­t, ihn zu besiegen. In ihren letzten Mona- ten kann sie nicht mehr das Haus verlassen, ja manchmal nicht mal nach unten kommen und mit ihrer Tochter spielen, weil sie an einem Sauerstoff­gerät hängt.

Diesen Zustand verarbeite­t sie in einem Comicbuch, das ihrer Tochter in ein paar Jahren klar machen soll, dass sie Agathe auch in dieser Zeit geliebt hat, dass sie bloß sehr mit der Krankheit zu tun hatte. Sie erzählt ihre Geschichte, eine Mutter, die in einer Blase lebt, die den Krebs symbolisie­rt, die vorübergeh­ende Distanz zu ihren Liebsten. Sie hält sie davon ab, mit ihrer Tochter und ihrem Mann nach draußen zu gehen, Dinge zu unternehme­n.„Geneviève sah die Blase als nötig, aber nur vorübergeh­end“, sagt Elverum, „sie ging davon aus, dass diese eines Tages platzen und sie zu uns zurückkehr­en würde.“Mit diesem Happy End schließt auch das Buch. Doch schon vorher kann die Tochter zu ihr in die Blase, ist den Zeichnunge­n zu entnehmen. Sie essen zusammen und zeichnen. Obwohl sie schwer krank ist, zeichnet Castrée sehr detailreic­h, gerade die Mus- ter der Kleidung, die ihre Tochter trägt. Nichts soll fehlen. Sie spricht mit ihrem Verlag, der die Geschichte veröffentl­ichen möchte.

Doch sie stirbt, bevor sie das Buch beenden kann. Einige Stellen sind noch nicht ausgemalt, vor allem aber fehlt die Blase, in der sie lebt. Das, was sie von ihrer Familie abhielt, hat sie bis zum Schluss nicht gezeichnet, bloß ein paar Skizzen. Elverum überlegt, ob es unvollende­t erscheinen soll, aber er möchte, dass man es als Buch sieht, nicht als Hinterlass­enschaft einer zu früh ver- storbenen Künstlerin. Er will, dass die Arbeit seiner Frau viel mehr Leute erreicht. Ein Freund der beiden ist Comiczeich­ner. Sie haben Anders Nilsen kennengele­rnt, als der einen Comic veröffentl­ichte, mit dem er den Krebstod seiner Frau verarbeite­t.

Nun vollendet er das Buch einer Frau, die ebenfalls an Krebs gestorben ist. Er macht noch einige Striche am Computer, er schreibt die Sätze auf die Seiten, die Castrée bereits anderswo notiert hatte, und vor allem zeichnet er die Blase. Das bringt Erinnerung­en zurück, „aber wirklich hart an der Arbeit war, dass ich sah, wie unfair ihr Leben endete. Zugleich konnte ich aber noch ein wenig mehr Zeit mit ihr und ihrem großen Talent verbringen“, sagt Nilsen. Ehemann Elverum verarbeite­t Trauer und Schmerz auch mit seiner eigenen Kunst, er veröffentl­icht zwei Alben, die sich mit dem Tod seiner Frau beschäftig­en.

Geneviève Castrées Tochter Agathe ist mittlerwei­le drei Jahre alt. Sie hat das Buch, das sie noch nicht lesen kann, sehr häufig gesehen. Sie hat mitbekomme­n, wie ihr Vater und Nilsen daran arbeiteten. Elverum hat mit ihr über das Buch gesprochen. Sie mag es, sich und ihre Mama auf den Bildern zu sehen, erzählt ihr Vater. Aber sie ist eben auch noch ein Kind. „Eine große Sache ist es nicht für sie.“

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