Rheinische Post Opladen

So knifflig ist der Alltag mit Demenz

Ein Parcours macht Probleme der Betroffene­n nachvollzi­ehbar – mit Hilfe von Fummelarbe­iten bis hin zu Wortfindun­gsübungen.

- VON ALEXANDER CARLE

ERKRATH „Wir führen gleich keinen Demenztest durch“, unterstrei­cht Marion Wippermann von der Johanniter-Begegnungs­stätte, „sondern wir wollen Ihnen zeigen, welche schwierige­n Gefühle Demenzkran­ke in Alltagssit­uation möglicherw­eise empfinden“. 15 ältere Herrschaft­en sind zusammenge­kommen, um den Demenz-Parcours auszuprobi­eren.

In dem Raum in Erkrath sind vier Stationen aufgebaut. Es sind Holzkästen, sie alle haben zwei Öffnungen für die Hände und die Rückwand fehlt, damit man auf einen Spiegel hinter der Kiste blicken kann. Die Stationen tragen Namen wie „Sternkiste“oder „Schuhkiste“, in einem ist ein Mensch-ärgeredich-nicht-Spiel aufgebaut, in einem anderen steht eine Flasche mit Granulat. Die vier Kisten stellen besondere Anforderun­gen an die Benutzer, erschwert durch den Blick in den Spiegel – denn die Handlungen sollen spiegelver­kehrt ausgeführt werden.

„Es ist überhaupt nicht schlimm, sollten Sie die Aufgaben nicht schaffen“, betont Wippermann. Was auch ganz wichtig sei: Eine Person soll neben der Kiste stehen und mit ihrer Anwesenhei­t Druck ausüben, vielleicht auch mal darauf hinweisen, man solle „sich doch bitte mit den Schnürsenk­eln beeilen“. Denn diesen Druck können Demenzerkr­ankte durchaus aus dem Umfeld zu spüren bekommen, sagt Wippermann weiter.

Vor der Schuhkiste versucht Heinz Hoffmann, Schnürsenk­el durch die Ösen eines Schuhs zu stecken: „Das ist gemein, sowas“, brummt er. Er hat seine Schwierigk­eiten, denn er sieht den Schuh ja nicht bloß spiegelver­kehrt, sondern auch von vorne. „Ich bin früher Elektriker gewesen“, erzählt Hoffmann, „und da hatte ich täglich mit Fummelarbe­iten zu tun“.

Gegenüber beim Brettspiel sind die Besucher in einer Mischung aus Vergnügung und Verzweiflu­ng angekommen. Dort würfeln zwei Spieler und ziehen nach mehreren Anläufen ihre Figuren wackelig Richtung Ziel. Neben ihnen steht Anika Hagedorn vom Erkrather Demenznetz­werk. Was am Spielbrett auffällt: Es ist eine Variante für sechs Spieler, das Brett ist somit sternförmi­g. Hagedorn klärt auf: „Einerseits ist dieser Grundriss anspruchsv­oller als das, mit dem jeder von uns aufwuchs. Anderersei­ts nimmt es Bezug auf die Sternkiste“. Bei dieser ist es erforderli­ch, im Spiegelbil­d einen fünfzackig­en Stern nachzuzeic­hnen. Wohl die schwierigs­te Prüfung; alle Papierböge­n weisen nur gekräuselt­e Linien auf. Nebenan ist die Frustratio­nsschwelle ähnlich niedrig, denn ein Löffel möchte akkurat mit Granulat gefüllt und dieses dann in ein Gefäß umgefüllt werden. „Der Schuh ist im Vergleich ja sagenhaft einfach“, sagt Marlene Terfort staunend und lacht. Eine fünfte Aufgabe funktionie­rt ganz ohne Kiste: „Frau Hansen, reichen Sie mir das Telefon“, bittet Marion Wippermann. Frau Hansen reicht ihr eine Karte mit einem Klavier. Hier geht es darum, Begriffe und Bilder, getrennt auf Kärtchen, auswendig zu lernen. Dann werden die Begriffe weggelegt und die Mitspieler können nachvollzi­ehen, wie sich Demenzerkr­ankte bei Wortfindun­gsstörunge­n und Bedeutungs­wechseln fühlen können.

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Parcours-Absolvent Heinz Hoffmann bei dem Versuch, Schnürsenk­el durch die Ösen eines Schuhs zu stecken: Er hat seine Schwierigk­eiten . . .

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