Claudia Neumann wehrt sich gegen Hetzer
Die WM-Kommentatorin des ZDF erzählt, wie sie mit Kritik unter der Gürtellinie und sexistischen Beleidigungen umgeht.
BERLIN (dpa) Nach Tagen der Anfeindungen hat sich ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann erstmals zu den sexistischen Beleidigungen gegen sie geäußert. „Ich finde das einfach grauenvoll“, sagte die 54-Jährige der „Zeit“. „Man kann den Menschen nur immer wieder zurufen: Geht länger zur Schule. Bildet euch weiter, erweitert euren Bewusstseinshorizont, dann lernt man auch, andere Haltungen zu tolerieren.“Die Hetze gerade in sozialen Netzwerken sei „kein Claudia-Neumann-Problem, sondern ein gesellschaftliches Phänomen“. Während der Fußball-Weltmeisterschaft ist Neumann online aufs Übelste beschimpft worden. Das ZDF stellte Strafantrag gegen zwei Nutzer.
Neumann ist die einzige Frau, die im deutschen Fernsehen Spiele der WM in Russland kommentiert hat – viele Beleidigungen waren frauenfeindlich. „Vielleicht brauchen Männer ihre kleine Oase des Rückzugs, in der man sie Kind sein lässt“, sagte Neumann nun dazu.
„Gewissen Menschen scheint zumindest jegliche Form des Anstands abhandengekommen zu sein. Jedes Anderssein geht ihnen gegen den für mich vor allem die Art, wie sie im Dienst der Mannschaft zusammenspielen. Sogar bei Brasilien sehe ich Teamgeist statt Egoismus, da kommt dann noch die typische Spielkunst dazu. Neymar sollte sicherlich seine Mätzchen lassen, das hat er doch gar nicht nötig. Aber Brasilien hat aus der WM 2014 gelernt.
Wer mir sehr imponiert, ist Gareth Southgate – und das nicht nur, weil er als erster englischer Trainer ein Elfmeterschießen gewonnen hat. Er hat das übliche 4-4-2 der Engländer aufgelöst und eine starke Fünferkette aufgebaut. Klasse! Und dann die Stärke bei den Standards, da zittert jeder Gegner schon, bevor der Ball gespielt wird.
Harry Kane ist der Anführer des Teams, er macht die Tore, holt sich aber auch die Bälle weiter hinten. Ein echter Mittelstürmer, der mitten drin ist in der Mannschaft. Wenn ich ihn sehe, denke ich wehmütig zurück an Typen wie Uwe Seeler oder Strich“, sagte Neumann weiter. „Ob es weibliche Kommentatoren sind oder homosexuelle Spieler, Fußballer mit Migrationshintergrund – manche Menschen scheinen nicht akzeptieren zu wollen, dass ihnen das Altbekannte abhandenkommt.“
Verändert habe sie ihre Arbeit angesichts der Hetzer nicht. „Ich knicke doch nicht vor diesen Leuten ein.“Seit der EM 2016 – schon damals war sie zur Zielscheibe geworden – überlege sie sich aber „zweimal, mit welchen Worten und mit welcher Wucht ich einen Spieler oder Trainer oder Manager kritisiere, Gerd Müller. Kane ist die moderne Version dieser Stürmer. Es klingt fast verrückt, aber ich muss es so sagen: Diese englische Mannschaft spielt deutscher als das deutsche Team. Das zeigt mir nebenbei, dass wir in den vergangenen Jahren nicht alles falsch gemacht haben. Aber Typen wie Kane haben wir im Moment leider nicht.
Auch die Franzosen leben uns vor, wie das mit dem Teamgeist geht. Sie sind mein Top-Favorit auf den Titel, die Franzosen haben eine tolle Mischung und wirken sehr reif. Belgien ist anfällig, das hat das Spiel gegen Japan gezeigt. Aber das muss ich sagen: Das Tor zum 3:2 der Belgier muss dringend in jedes Lehrbuch aufgenommen werden. Wie dieser Konter ausgehend vom Torwart aufgezogen war, war nahezu perfekt. Wenn ich solche Szenen sehe, weiß ich, warum ich den Fußball liebe. Trotzdem wird es eng für die Belgier. Sie treffen auf Brasilien – das ist eigentlich ein Spiel für das Halbfinale, ebenso wie Frankreich gegen Uruguay.
Diese Konstellation eröffnet den anderen Chancen. Wenn die Kroaten weiter die Egoismen unterdrücken, kann es auch ihr Turnier werden. Allerdings sollten sie die Russen nicht unterschätzen. Die machen sehr viel aus dieser WM. Alle acht Mannschaften, die noch dabei sind zeigen, dass das Wort „Mannschaft“nicht nur ein Etikett sein darf, sondern gelebt werden muss. weil ich nun weiß, wie tief das gehen kann“. Generell werden Fußball-Kommentatoren im Netz immer wieder heftig angegangen. Am Dienstagabend zum Beispiel erfuhr ARD-Reporter Steffen Simon beim Spiel Kolumbien gegen England viel Häme und Spott – wenngleich meist gemäßigter als zuvor Neumann.
Die ZDF-Journalistin kann der öffentlichen Debatte über ihre Rolle als Frau, die Fußball kommentiert, auch etwas Gutes abgewinnen: Der „Zeit“sagte sie, „je exponierter wir nun mit dem Thema umgehen, desto schneller wird es zur Normalität“.