Wie Southgate das Elfmeter-Trauma überwand
MOSKAU (RP/sid) In England trägt Mann wieder Weste. Das smarte Auftreten des stets todschick gewandeten Nationaltrainers Gareth Southgate hat in Verbindung mit den Erfolgen der Three Lions einen Modeboom ausgelöst: Southgates Weste wurde zum Verkaufsschlager. Fußballfans stürmen die Geschäfte des offiziellen Anzugsponsors Marks & Spencer, der eine drastisch erhöhte Nachfrage von 35 Prozent an Westen verkündet. Dabei kommt der komplette Look nicht billig daher, denn der Anzug kostet 265 Pfund (knapp 300 Euro). Möchte man eine rote, blaue oder weiße Krawatte, die der Trainer bei den Spielen in Russland kombinierte, macht das jeweils etwa 29 Euro extra.
Doch die Fans auf der Insel zahlen es gern, spätestens seit Southgate die Engländer mit dem 5:4 nach Elfmeterschießen gegen Kolumbien von ihrem Trauma befreit hat. Der Teammanager, selbst ein Symptom der nationalen Elfer-Seuche, forscht seit Jahren akribisch an einem Heilmittel gegen die „englische Krankheit“(The Times). Der Kernansatz des einstigen „Elfer-Deppen“, der 1996 im EM-Halbfinale gegen Deutschland den entscheidenden Versuch vom Punkt nicht im Tor unterbrachte, klingt simpel: „Es geht nicht um Glück. Es geht nicht um Zufall. Es geht darum, eine Fähigkeit unter Druck auszuüben. Und daran kann man individuell arbeiten. Wir können viel tun, um den Prozess zu kontrollieren und nicht von ihm kontrolliert zu werden.“
Die Bilanz bei großen Turnieren war miserabel. In sechs von sieben Elfmeterschießen vor der Nacht von Moskau gingen die Three Lions als begossene Pudel vom Platz. Das Trauma verselbständigte sich, Namen wie Southgate, Stuart Pearce oder Chris Waddle sind untrennbar mit ihm verwoben. Also schob Southgate, seit 2011 beim Verband FA tätig, ein umfassendes Programm an. Ein Forschungsteam studierte alles rund um den Punkt. Sportpsychologen arbeiteten eng mit dem Team, um „Strategien für den Umgang mit Stress“zu vermitteln, die Spieler mussten sich sogar psychometrischen Tests unterziehen.
Auf dem Trainingsplatz hat Southgate seine Auswahl seit Monaten auf den Ernstfall vorbereitet. Mit einer Art Konfrontationstherapie, in der sogar der Weg zum Punkt analysiert wurde. „Wir sind verschiedene Strategien durchgegangen. Wir sind physisch und mental auf alles vorbereitet, was kommen könnte“, sagte er vor dem Achtelfinale.
Den „Weg in die Dunkelheit“, wie der 47-Jährige seinen von Andreas Köpke parierten Elfmeterschuss in Wembley heute nennt, wollte Southgate seinen Schützlingen ersparen. Wurde der damals 25-Jährige vor seinem Fehlschuss spontan gefragt, sind jetzt die ersten fünf Schützen und deren Backups bereits festgelegt. Vorbereitung ist alles.