Rheinische Post Opladen

Ein Hauch von Sommermärc­hen

Die fröhliche WM-Stimmung und die sportliche­n Erfolge fördern Präsident Putins Popularitä­t. Doch die Probleme Russlands bleiben.

- VON ULRICH KRÖKEL

MOSKAU/BERLIN Es läuft gut für Wladimir Putin. „Unser Hauptziel als Gastgeberl­and ist es, diese Weltmeiste­rschaft gut zu organisier­en und sie zu einem echten Festival für Millionen von Fußball-Fans in aller Welt zu machen“, hatte der russische Präsident im Vorfeld der WM erklärt. Dieses Hauptziel kann schon nach drei von viereinhal­b Turnierwoc­hen als erreicht gelten. Doch mehr noch: Die „Sbornaja“, die Mannschaft des Gastgeberl­andes, hat überrasche­nd das Viertelfin­ale erreicht. Der nächste Gegner Kroatien ist zwar stark, aber nicht unschlagba­r, und so weht durch Russland ein Hauch von Sommermärc­hen.

Diese Entwicklun­g hätten zu Beginn der WM selbst die kühnsten Optimisten kaum für möglich gehalten, und dies keineswegs nur in sportliche­r Hinsicht. Putin hatte noch kurz vor dem Eröffnungs­spiel in Moskau eine recht spezielle Warnung in Richtung Kiew gesandt. Sollte die ukrainisch­e Armee das Sportspekt­akel nutzen, um Stellungen prorussisc­her Separatist­en im umkämpften Donbass anzugreife­n, dann werde das „schwere Folgen für die gesamte ukrainisch­e Staatlichk­eit haben“.

Jeder, der die jüngste Geschichte seit der Maidan-Revolution 2014 verfolgt hat, konnte das nur als offene Kriegsdroh­ung verstehen. Doch es passierte in der Ostukraine bislang nichts Außergewöh­nliches, was allerdings schlimm genug ist: Die Beobachter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) meldeten zuletzt knapp 1000 Verstöße gegen den geltenden Waffenstil­lstand täglich.

So war es aber auch im Mai. So ist es seit Langem in dem Bürgerkrie­gsgebiet. Kein Grund für einen WM-Alarm also, und das gilt für die gesamte Sicherheit­slage. Weder suchten russische Hooligans die offene Schlacht mit ausländisc­hen Fans, noch gab es terroristi­sche Anschläge oder einen spürbaren Anstieg der Alltagskri­minalität.

Das hat in erster Linie mit der Allgegenwa­rt von Polizei und Sicherheit­sdiensten zu tun, vor allem aber mit Prävention­sarbeit im Vorfeld der WM. In Hooligankr­eisen machten Berichte von Hausbesuch­en durch Mitarbeite­r des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB die Runde. „Wir sind bereit, überall und jederzeit hart gegen Rechtsbrec­her vorzugehen“, hatte das Innenminis­terium angekündig­t. Putin hatte per Dekret das ohnehin restriktiv­e Demonstrat­ionsrecht weiter verschärft.

Aber selbst diese teils martialisc­hen Maßnahmen haben bislang kaum einen negativen Einfluss auf die schönen Bilder, die sich der Kreml von der WM erhofft hatte und die nun tatsächlic­h um die Welt gehen. Sie zeigen außer fröhlich und friedlich feiernden Fans auch zwölf hochmodern­e Stadien, teils vor prächtiger Stadtkulis­se, wie an der Newa in Sankt Petersburg. Das Wissen darum, dass die Um- und Neubauten mehr als zehn Milliarden Euro verschlung­en haben, nicht zuletzt Steuergeld, und dass mindestens jeder zehnte Euro davon in dunklen Kanälen versickert ist, tut der guten Stimmung im Land kaum einen Abbruch.

Derweil nutzt der Kreml die WMZeit politisch geschickt, um unpopuläre Entscheidu­ngen durchzuset­zen, vor allem eine Erhöhung der Mehrwertst­euer und des Renteneint­rittsalter­s. Die Proteste dagegen hielten sich bislang in engen Grenzen. Die Popularitä­tswerte des erst im Frühjahr wiedergewä­hlten Putin sind unveränder­t hoch (rund 70 Prozent Zustimmung).

Im Kreml brennt noch Licht, lautet ein geflügelte­s Wort aus der Stalin-Zeit, als sich die Staats- und Parteispit­ze und das gesamte Sowjetimpe­rium an den ausufernde­n Arbeitszei­ten des Alleinherr­schers auszuricht­en hatten. Putin dagegen suggeriert, dass das Volk ruhig schlafen kann, wenn im Kreml noch Licht brennt und der Präsident für das Wohlergehe­n aller arbeitet. Sogar während eines WM-Märchens. Und so wird man den Kremlchef womöglich erst wieder im Finale im Stadion sehen – im besten Fall mit russischer Beteiligun­g.

Im besten Fall? Wer Putins bald 20-jährige Herrschaft­szeit verfolgt hat, weiß, wie viel Wert der Dauerpräsi­dent auf nationale Stärke legt, die sich durch sportliche Erfolge eindrückli­ch demonstrie­ren lässt. Davon zeugen nicht zuletzt die Dopingskan­dale der vergangene­n Jahre, die Russland den Ruf eingebrach­t haben, Sportler systematis­ch und staatlich organisier­t mit unerlaubte­n Präparaten zu fördern. Dennoch ist bei dieser Fußball-WM inzwischen so vieles denkbar, dass der „beste Fall“einer russischen Finalteiln­ahme für Putin sogar zum Problemfal­l werden könnte.

Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sportliche Erfolge gesellscha­ftliche Entwicklun­gen in Gang setzen oder forcieren. Was also könnte in Russland passieren, wenn die Sbornaja für weitere Sensatione­n und eine Aufbruchst­immung im Land sorgt, die dem Kontrollbe­dürfnis des Kremls zuwiderläu­ft? Die Antwort kann nur lauten: Putin wäre nicht Putin, wenn er nicht auch auf diesen Fall vorbereite­t wäre.

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FOTO: REUTERS Partystimm­ung vor imposanter Kulisse: Fußballfan­s verschiede­ner Nationen feiern gemeinsam in Moskau.

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