Kampf um Wertschätzung
Holstein Kiel will zuerst seine Frauenteams ausgliedern, rudert nach großer Empörung aber wieder zurück. Die Fragen nach Respekt vor Spielerinnen in den Klubs und dem Interesse am Frauenfußball bleiben.
DÜSSELDORF/DUISBURG Beim Spiel der 2. Damenmannschaft der Kieler Sportvereinigung Holstein passiert Wunderliches. An der Waldwiese gastiert der ATSV Stockelsdorf. Die Kieler Gastgeberinnen aber spielen keine Pässe, noch schießen sie auf das Tor. Erst stehen sie regungslos auf dem Platz, dann setzen sie sich provokativ auf den Rasen und verharren sitzend.
Dieser seltsame Spielverlauf vor einigen Wochen ist eine Protestaktion – gegen den eigenen Klub: Als Holstein Kiels männliche Profifußballer noch vom Aufstieg in die 1. Bundesliga träumen, entgehen drei Kieler Frauenteams nur knapp einer Degradierung. Denn wenige Tage vor dem besagten Spiel hatte das (rein männlich besetzte) Präsidium von Holstein mitgeteilt, die Damen ausgliedern zu wollen und sie dem VfB Kiel zu „übergeben“. Man habe sich entschieden, „Kräfte zu bündeln, um sich ganz der Arbeit im Herrenbereich und im männlichen Nachwuchs zu widmen“, hatte es geheißen. Und das hatte bundesweit Aufsehen erregt.
Die „Holstein Women“wehrten sich per Facebook-Stellungnahme und suchten das Gespräch. Die Kieler Vereinsführung ruderte denn auch zurück: Die „Holstein Women“bleiben vorerst eine Abteilung der KSV. Die drei Frauenteams sollen aber ihren Trainings- und Spielbetrieb selbst finanzieren. Das Beispiel aus dem hohen Norden zeigt, wie Fußballvereine in Deutschland mit einem Problem ringen: Sie verfolgen das hehre, gesellschaftlich anerkannte Ziel, den Frauenfußball zu fördern, obwohl alle Zahlen und Fakten dagegen sprechen.
Bundesweit ist das mangelnde Interesse auf den Tribünen zu sehen. Und es wird schlimmer, denn selbst in der Frauenfußball-Bundesliga mussten neun von zehn Bundesligisten einen Abwärtstrend hinnehmen. In der Saison 2016/17 kamen durchschnittlich 942 Zuschauer pro Spiel, in der abgelaufenen waren es noch rund 150 weniger. Das schlägt sich auch auf die Wertschätzung in den Vereinen aus. Auf die Frage, ob fehlender Respekt in den Klubs ein Problem ist, antworten die drei NRW-Vereine SGS Essen-Schönebeck, der MSV Duisburg und der 1. FC Köln unterschiedlich.
Der „Effzeh“belässt es in seiner Antwort bei Allgemeinplätzen. „Frauenfußball beim 1. FC Köln hat einen großen Stellenwert“, teil der Verein mit. Der direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga im vergangenen Jahr habe gezeigt, dass in diesem Bereich hervorragend gearbeitet werde. Das Team stieg nun zwar wieder aus der Bundesliga ab, der Klub unterhält aber immerhin auch eine zweite Mannschaft und fördert den Nachwuchs in vier Mädchenteams.
Dass Männer- und Frauenfußball mit zweierlei Maß gemessen wird, sieht Kathleen Radtke (MSV Duisburg). Die 33-jährige Abwehrspielerin ist lange im Geschäft, hat für Turbine Potsdam und 2014 bis 2016 für Manchester City gespielt. „Der Männerfußball hat ein Monopol, dagegen kommt kein anderer Sport an. Und auch der Frauenfußball nicht“, sagt Radtke. MSV-Vereinsobere kämen zwar zu Spielen oder sogar ins Trainingslager, und das sei positiv. Zuletzt habe sie den Unterschied aber etwa bei einem Nachholspieltag gesehen. „Wir mussten aufgrund der Spielansetzung Mittwochs in Potsdam antreten. Einige Spielerinnen mussten dafür zwei Tage Urlaub nehmen“, sagt Radtke. Acht- oder neunstündige Busfahrten seien ganz normal für das Team, von dem gut die Hälfte nebenbei arbeitet oder studiert. „Die Frauenbundesliga ist in der Hinsicht eine Halbprofi-Liga. Es wäre wünschenswert, wenn die nächste Generation einen besseren Standard hätte.“
Wo soll der aber herkommen? Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat Maßnahmen eingeleitet. Er hat die Vermarktung angekurbelt. Die höchste Liga nennt sich „Allianz Frauen-Bundesliga“. Zur neuen Saison gibt es einen einheitlichen Spielball mit Sponsor. Problematisch ist aber auch das finanzielle Gefälle in der Liga, an dem der Verband wenig ändern kann. Zwischen der SGS Essen und Ligariesen wie Wolfsburg, München, Frankfurt oder Potsdam liegen Welten. Essens Gesamtetat liegt in der Frauen- und Mädchenfußballabteilung bei rund 730.000 Euro. Damit liegt der Klub abgeschlagen zurück. Beim 1. FFC Frankfurt sind es geschätzte 1,5 Millionen Jahresetat. Der Vergleich mit den männlichen Profis etwa bei Eintracht Frankfurt (40 Millionen Spieleretat), verbietet sich im Grunde.
Bei der SGS Essen hat Geschäftsführer Philipp Symanzik trotzdem die Vision, die Abteilung zu fördern. „Unabhängig davon, dass Frauenfußball schon seit den 70er-Jahren ein fester Bestandteil unseres Vereins ist und somit eine lange emotionale Historie hat“, sagt Symanzik, „repräsentiert das Erstligateam sowohl den Klub wie auch die Stadt und ist hier ein positiver überregionaler Werbeträger.“
Er nennt Vorbilder wie den VfL Wolfsburg, FC Bayern München oder auch den SC Freiburg, wo „nicht nur sehr professionell, seriös und nachhaltig im Frauenbereich gearbeitet wird, sondern die Frauenund Mädchenteams kein bloßes Anhängsel des Gesamtvereins sind.“Das Modell: „Wünschenswert wäre es, wenn Spielerinnen halbtags arbeiten und halbtags Fußball spielen könnten. Das zu bieten, ist unser langfristiges Ziel.“