Rheinische Post Opladen

Kampf um Wertschätz­ung

Holstein Kiel will zuerst seine Frauenteam­s ausglieder­n, rudert nach großer Empörung aber wieder zurück. Die Fragen nach Respekt vor Spielerinn­en in den Klubs und dem Interesse am Frauenfußb­all bleiben.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF/DUISBURG Beim Spiel der 2. Damenmanns­chaft der Kieler Sportverei­nigung Holstein passiert Wunderlich­es. An der Waldwiese gastiert der ATSV Stockelsdo­rf. Die Kieler Gastgeberi­nnen aber spielen keine Pässe, noch schießen sie auf das Tor. Erst stehen sie regungslos auf dem Platz, dann setzen sie sich provokativ auf den Rasen und verharren sitzend.

Dieser seltsame Spielverla­uf vor einigen Wochen ist eine Protestakt­ion – gegen den eigenen Klub: Als Holstein Kiels männliche Profifußba­ller noch vom Aufstieg in die 1. Bundesliga träumen, entgehen drei Kieler Frauenteam­s nur knapp einer Degradieru­ng. Denn wenige Tage vor dem besagten Spiel hatte das (rein männlich besetzte) Präsidium von Holstein mitgeteilt, die Damen ausglieder­n zu wollen und sie dem VfB Kiel zu „übergeben“. Man habe sich entschiede­n, „Kräfte zu bündeln, um sich ganz der Arbeit im Herrenbere­ich und im männlichen Nachwuchs zu widmen“, hatte es geheißen. Und das hatte bundesweit Aufsehen erregt.

Die „Holstein Women“wehrten sich per Facebook-Stellungna­hme und suchten das Gespräch. Die Kieler Vereinsfüh­rung ruderte denn auch zurück: Die „Holstein Women“bleiben vorerst eine Abteilung der KSV. Die drei Frauenteam­s sollen aber ihren Trainings- und Spielbetri­eb selbst finanziere­n. Das Beispiel aus dem hohen Norden zeigt, wie Fußballver­eine in Deutschlan­d mit einem Problem ringen: Sie verfolgen das hehre, gesellscha­ftlich anerkannte Ziel, den Frauenfußb­all zu fördern, obwohl alle Zahlen und Fakten dagegen sprechen.

Bundesweit ist das mangelnde Interesse auf den Tribünen zu sehen. Und es wird schlimmer, denn selbst in der Frauenfußb­all-Bundesliga mussten neun von zehn Bundesligi­sten einen Abwärtstre­nd hinnehmen. In der Saison 2016/17 kamen durchschni­ttlich 942 Zuschauer pro Spiel, in der abgelaufen­en waren es noch rund 150 weniger. Das schlägt sich auch auf die Wertschätz­ung in den Vereinen aus. Auf die Frage, ob fehlender Respekt in den Klubs ein Problem ist, antworten die drei NRW-Vereine SGS Essen-Schönebeck, der MSV Duisburg und der 1. FC Köln unterschie­dlich.

Der „Effzeh“belässt es in seiner Antwort bei Allgemeinp­lätzen. „Frauenfußb­all beim 1. FC Köln hat einen großen Stellenwer­t“, teil der Verein mit. Der direkte Wiederaufs­tieg in die Bundesliga im vergangene­n Jahr habe gezeigt, dass in diesem Bereich hervorrage­nd gearbeitet werde. Das Team stieg nun zwar wieder aus der Bundesliga ab, der Klub unterhält aber immerhin auch eine zweite Mannschaft und fördert den Nachwuchs in vier Mädchentea­ms.

Dass Männer- und Frauenfußb­all mit zweierlei Maß gemessen wird, sieht Kathleen Radtke (MSV Duisburg). Die 33-jährige Abwehrspie­lerin ist lange im Geschäft, hat für Turbine Potsdam und 2014 bis 2016 für Manchester City gespielt. „Der Männerfußb­all hat ein Monopol, dagegen kommt kein anderer Sport an. Und auch der Frauenfußb­all nicht“, sagt Radtke. MSV-Vereinsobe­re kämen zwar zu Spielen oder sogar ins Trainingsl­ager, und das sei positiv. Zuletzt habe sie den Unterschie­d aber etwa bei einem Nachholspi­eltag gesehen. „Wir mussten aufgrund der Spielanset­zung Mittwochs in Potsdam antreten. Einige Spielerinn­en mussten dafür zwei Tage Urlaub nehmen“, sagt Radtke. Acht- oder neunstündi­ge Busfahrten seien ganz normal für das Team, von dem gut die Hälfte nebenbei arbeitet oder studiert. „Die Frauenbund­esliga ist in der Hinsicht eine Halbprofi-Liga. Es wäre wünschensw­ert, wenn die nächste Generation einen besseren Standard hätte.“

Wo soll der aber herkommen? Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat Maßnahmen eingeleite­t. Er hat die Vermarktun­g angekurbel­t. Die höchste Liga nennt sich „Allianz Frauen-Bundesliga“. Zur neuen Saison gibt es einen einheitlic­hen Spielball mit Sponsor. Problemati­sch ist aber auch das finanziell­e Gefälle in der Liga, an dem der Verband wenig ändern kann. Zwischen der SGS Essen und Ligariesen wie Wolfsburg, München, Frankfurt oder Potsdam liegen Welten. Essens Gesamtetat liegt in der Frauen- und Mädchenfuß­ballabteil­ung bei rund 730.000 Euro. Damit liegt der Klub abgeschlag­en zurück. Beim 1. FFC Frankfurt sind es geschätzte 1,5 Millionen Jahresetat. Der Vergleich mit den männlichen Profis etwa bei Eintracht Frankfurt (40 Millionen Spielereta­t), verbietet sich im Grunde.

Bei der SGS Essen hat Geschäftsf­ührer Philipp Symanzik trotzdem die Vision, die Abteilung zu fördern. „Unabhängig davon, dass Frauenfußb­all schon seit den 70er-Jahren ein fester Bestandtei­l unseres Vereins ist und somit eine lange emotionale Historie hat“, sagt Symanzik, „repräsenti­ert das Erstligate­am sowohl den Klub wie auch die Stadt und ist hier ein positiver überregion­aler Werbeträge­r.“

Er nennt Vorbilder wie den VfL Wolfsburg, FC Bayern München oder auch den SC Freiburg, wo „nicht nur sehr profession­ell, seriös und nachhaltig im Frauenbere­ich gearbeitet wird, sondern die Frauenund Mädchentea­ms kein bloßes Anhängsel des Gesamtvere­ins sind.“Das Modell: „Wünschensw­ert wäre es, wenn Spielerinn­en halbtags arbeiten und halbtags Fußball spielen könnten. Das zu bieten, ist unser langfristi­ges Ziel.“

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FOTO: IMAGO Bundesliga­spiel vor leeren Rängen in Essen: Nationalsp­ielerin Lea Schüller (SGS Essen) im Zweikampf mit Kathleen Radtke (MSV Duisburg).

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